Fremdbestimmt

Prinzipiell ist es ja eine schöne Sache, wenn Dinge passieren, die in ihrer Eindeutigkeit die eigene Position verdeutlichen und stärken. Dann muss man sich nicht mehr den Mund fusselig reden, sondern kann einfach auf diese Vorfälle verweisen, wahlweise leicht bedauernd (wenn man dem Gegenüber tatsächlich helfen möchte) oder mit einem süffisanten Lächeln präsentieren (wenn man den Gegenüber in die Pfanne hauen möchte).

Doch dieses Vergnügen bezieht sich nur auf einen selbst, den kurzen Moment des „Hab ich’s doch gleich gesagt“, das triumphierende „Wusst ich’s doch!“. Der Moment verstreicht, wird schale Erinnerung. Denn oft genug lernt der Gegenüber nichts aus diesen Ereignissen. Sie werden ignoriert, verleugnet, verdrängt, als Zufall abgetan. Man möchte nicht verlieren, man möchte sich nicht eingestehen falsch gelegen zu haben. Von daher bin ich mir nicht sicher, welche Lernwirkung das neueste DRM-Debakel haben wird, über welches aufmerksame Leser gestern in so ziemlich jedem IT-Newsmagazin oder der entsprechenden Rubrik großer Nachrichtenportale nachlesen konnten.

Bezogen auf den Spielebereich könnte man natürlich sagen, dass hier jedwede Aufregung fehl am Platze ist. Wer im Glaushaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen! Denn das genaue Gegenstück zu der Möglichkeit von Amazon, Inhalte auf den Kindle-Lesegeräten der Kunden nach Belieben zu manipulieren, sind die allseits beliebten MMOs, die ihren Inhalt direkt von den Servern der Betreiber beziehen. Ein MMO-Betreiber bestimmt en Detail, was der Spieler zu sehen bekommt und was nicht. Via Patch werden Inhalte entfernt, verändert und neue hinzugefügt. Bei allen Spielern. Ohne dass diese eine Möglichkeit haben, diese Veränderungen abzulehnen und trotzdem weiterhin das Spiel spielen zu können.

Hmm, und wenn ich genauer darüber nachdenke, dann haben wir diese Situation nicht nur bei MMOs, sondern auch bei den immer beliebter werdenden digitalen Vertriebsplattformen wie zB. Steam. Dort ist die Möglichkeit automatische Updates zu verweigern, im „Fabrikzustand“ des Steam-Clients nach der Installation ausgeschaltet. Würde zB. ein prominenter Politiker aus Land A gegen Valve klagen, dass ein NPC-Model in Half-Life 2 ihm zu ähnlich sehe, das Model daher entfernt werden müsse und Valve, um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden (und um natürlich weiterhin problemlos Geschäfte mit Kunden aus Land A betreiben zu können), beim nächsten Update das Model austauscht/entfernt, dann würde dies auch bei Kunden passieren, die NICHT in Land A leben, denen es scheissegal ist, wem ein NPC-Model nun ähnlich sieht oder nicht. Und das nächste Mal ist es kein Model, sondern vielleicht eine Wandtextur mit einem Poster, bei dem der Leveldesigner im Rahmen des Spiel-Settings eine bestimmte Aussage machen möchte, die, aus dem Kontext gerissen, manchen Leuten aus Land B sauer aufstößt, worauf man Valve vor den Kadi zerren möchte usw. usf.

Möglich ist das, weil man Steam-Spiele nur mit dem Steam-Client starten kann und selbst ein Backup nach dem Restore einmalig wieder online „aktiviert“ werden muss. Valve kann seinen Kunden vorschreiben, was diese sehen dürfen und was nicht. Steam ist DRM. Digital Restriction Management.

Das alles sollte man sich bewusst machen, wenn man Geld für MMOs ausgibt, wenn man Geld für DRM-verdongelte Produkte ausgibt. Man gibt das Recht auf, selbst bestimmen zu können, was man sich anschaut und was nicht. Zugegeben, das ist im Spielebereich auf Grund seiner unpolitischen Inhalte nicht ganz so dramatisch, aber gewöhnt man sich damit nicht an den Gedanken, nur noch rechtloser Empfänger fremdbestimmter Inhalte zu sein, die der Betreiber nach Belieben manipulieren kann?

Sicher, bei einem MMO kann ich einfach mein Abo kündigen, auslaufen lassen und dem Betreiber künftig kein Geld mehr geben, wenn mir die Veränderungen nicht passen. Es ist tatsächlich „nur“ ein Spiel, ein harmloses Unterhaltungsprodukt. Sicher, ich brauche nicht unbedingt bestimmte iPhone-Applikationen, die Apple im Rahmen der technischen Möglichen des iPhones einfach vom Store und den Geräten selbst entfernen kann. Ich kann die von Amazon gelöschten eBooks auch problemlos aus anderer Quelle, so ganz analog und von etwaigen Rechteinhabern unkontrollierbar, beziehen und von allen inhaltlichen Veränderungen geschützt ins Bücherregal stellen. Man muss hier nicht das Bild einer neuen, perfiden und perfekten Möglichkeit der digitalen Bücherverbrennung an die Wand malen. Der Kindle ist nur ein Nischenprodukt, das iPhone ist nur ein Nischenprodukt, ein MMO ist nur ein Nischenprodukt und auf all diese Produkte kann man problemlos verzichten, ohne dass einem dadurch auch nur der kleinste Nachteil entsteht.

Aber man stelle sich nur vor, wenn es immer mehr dieser Nischenprodukte gibt, wenn immer mehr Menschen sich daran gewöhnen, keine Rechte mehr zu haben, weil es ja jetzt jeder tut. Man stelle sich nur vor, wenn „Fremdbestimmtheit“ die Norm ist und all diese Nischenprodukte zusammengenommen über 90% des Marktes darstellen. Wenn bestimmte Geräte nur bestimmte Nachrichten anzeigen können, weil andere Nachrichten dem Betreiber oder dem Staat, in dem der Betreiber Geschäfte machen möchte, nicht in den Kram passen. Wenn man die große Masse effektiv und nach Belieben manipulieren kann, weil der Verzicht auf derartige Geräte, Plattformen und Produkte dazu führt, dass man sich selbst komplett aus der Gesellschaft ausgrenzt?

Von daher … ich finde es gut, dass dieser Vorfall bei Amazon ausgerechnet (!) „1984“ von George Orwell betraf. Denn heute kämpfen wir zusammen mit Ozeanien gegen Eurasien. Aber schon morgen werden alle Inhalte ausgetauscht und plötzlich haben wir schon immer mit Eurasien gegen Ozeanien im Krieg gelegen. Du glaubst mir nicht? Schau im Lexikon nach, im Geschichtsbuch. Da steht es doch Schwarz auf Weiß!

12 Kommentare zu „Fremdbestimmt

  1. Steam ist in dieser Hinsicht durchaus grenzwertig. Aber MMOs lassen sich meiner Meinung nach nicht in den DRM Topf werfen. Man erwirbt hier ja nicht einmalig ein Produkt sondern zahlt monatlich für eine Dienstleistung. Diese beinhaltet i.d.R. auch Updates und Änderungen im Spiel.Eine Ausnahme könnten die MMOs sein, die sich über den Verkauf von Items finanzieren. Allerdings sind auch hier Updates die Regel. Da wäre ich sowieso vorsichtig, was für Rechte ich eigentlich erwerbe, da ich gar keine Möglichkeit habe den gekauften Gegenstand auf den lokalen Rechner zu übertragen.

  2. Es ist schon eine gefährliche Situation, daß die meisten Menschen die Problematik noch nicht erkennen, wenn sie noch im Kleinen, nicht so relevanten (z.B. Nischenprodukten) stattfindet.Den meisten Menschen fehlt die vorrausschauende Sichtweise und/oder der Wille, potentielle Probleme früh zu erkennen und dementsprechend dagegen zu agieren.Bei DRM stört sie beispielsweise eine einmalige Aktivierung noch nicht, und so sind sie weder Willens noch befähigt zu erkennen, daß es bei einer Etablierung des Systems zu immer weitreichenderen Einschränkungen kommen wird, die sie spätestens im weiteren Verlauf auch empfindlich betreffen werden.

  3. Btw. das mit dem NPC austauschen, weil er gewissen Personen zu sehr ähnelt, habe ich sogar schon bei einem Spiel erlebt – in NWN wurde ein Charakterbild ausgetauscht, weil es sich um eine "verelfte" Angelina Jolie handelte (und man keine Rechte dafür hatte). Zum Glück waren die Daten ja auf der CD, konnten ausgelesen und wen man wollte, händig wieder ins Spiel zurück gebracht werden.Das ganze lief über einen Patch.Ach ja, Du hättest das Windows Live Gedöns für Games auch als Beispiel bringen können – da bekommt man nach IP nämlich die DLCs zugewiesen, ob deine originale Spielversion jetzt ein US Import ist, oder nicht, Du bekommst deutschsprachige DLCs, basta. Gleiches Problem auf der 360.Egal, es wird interessant werden, wen es um indizierte und beschlagnahmte Spiele gehen wird – schon heute bekommt man ja gewisse Downloads nicht in D, aber was, wen man die Spiele nicht mal mehr autorisieren kann.

  4. Ja, XBOX Live … ein steter Quell der Freude für US-Bürger, die auf ihre bereits gekauften und registrierten Inhalte nicht zugreifen können, wenn sie sich mit einer Nicht-US-IP in ihren Account einwählen.Aber hey, solange man dies nicht am eigenen Leib verspürt, solange es immer nur den anderen passiert, solange ist doch alles in Ordnung, nicht? AIDS bekommen auch immer nur andere Leute …

  5. Ich denke, du irrst wenn du MMOs, iPhone Apps, etc. als 'Nischenprodukt' bezeichnest. Diese Sachverhalte sind für manche Menschen genauso real wie dein und mein Abendessen; sprich, sie gehören zu jemandes Lebenswelt! Insofern befürchte ich, dein Prognose ist bereits näher als du denkst…

  6. Auch das hier immer so hochgelobte Disc-based DRM ist natürlich eine Sackgasse.So erwartet z. B. ein älteres Starforce-Spiel von mir, daß ich seine DVD in das einzig verbliebene IDE-Laufwerk einlege, denn den SATA-DVD-Brenner hält es für Emulationssoftware und akzeptiert es nicht.Dummerweise ist dieses IDE-Laufwerk aber ein CD-Brenner und kann DVDs überhaupt nicht lesen…

  7. Hmmm, ich glaube da gibt es ein paar signifikante technische und rezeptions(geschichtliche) Unterschiede zwischen traditionellen Büchern und onlinegekoppelter Software die solche Vergleiche sehr stark hinken lassen.

  8. Ich bin geneigt, mich Grüntees Meinung anzuschließen. Bei den Kindern und Jugendlichen sehen wir eine sehr starke "Virtualisierung" der Erlebens-Welt, und wenn dieses virtuelle Erleben auch noch nach Belieben fremdgesteuert werden kann, stehe ich persönlich dieser Entwicklung mehr als skeptisch gegenüber.Ich möchte hier nicht wegen politischer Incorrectness aus dem Blog geworfen werden, ABER über die heute existierenden Möglichkeiten zur Beeinflussung des Gedankengutes hätte sich zB eine politische Bewegung im Deutschland der 30er und 40er Jahre ein Bein abgefreut.Wir sind in dieser Hinsicht ja gebrannte Kinder, und gerade wir "alten Säcke", die die Computer-Spielerei ja auch noch anders kennen, haben da meiner Meinung nach auch eine gewisse Verantwortung, auf solche Mißstände hinzuweisen.Verglichen hiermit und den potentiellen Möglichkeiten des Mißbrauchs sind so überkorrekte Anstoßsteine wie Killerspiele und KP lachhaft.

  9. Das Thema ist auch dahingehend interessant, dass einem vor nicht allzu langer Zeit das 'Internet zum Mitmachen' schmackhaft gemacht wurde. Inhalte von jedem für jeden.Nur leider merken die Wenigsten, dass sie hier einem Trugschluss erliegen und die Ergebnisse ihrer Kreativität lediglich in eine bestimmte Form gepresst wird. Ich will mich der Welt mitteilen, aber das entsprechende Online-Angebot ist nicht vorhanden? Schade. Ohne ein eigenes Startup zu gründen wird's wohl nichts damit.Auch wird anderorts im Netz sondiert, was der User zu sehen bekommt und was nicht, ohne wirklich Einfluss darauf zu haben. Ob Google, Youtube oder Steam:Selbst im Netz ist man letztlich nur so frei, wie man gelassen wird. Das, oder inwieweit man geneigt ist, sich seine Freiheit selbst zu nehmen.Apropos Steam:Seit etwa zwei Wochen bin ich Besitzer von ArmA II, das ich über Steam erworben habe. Genauer gesagt war ich bis heute der Besitzer von ArmA II, da Valve es ohne mein Wissen von meinem Account entfernt hat. Die Spieledaten sind alle nach wie vor auf meiner Festplatte, nur unter meinen Einkäufen wird es nicht mehr gelistet, wodurch das Spiel gar nicht erst startet. Was umso lustiger wird wenn man bedenkt, dass ich es heute Nachmittag noch konnte (durfte).Seitens Valve kam bisher noch nichts.

  10. Bei MMO ergiebt das "fremdbestimmt sein" durchaus Sinn.Wie kann man ein Spiel ausgeglichen sein wenn jeder den Patch nehmen kann der ihn am meißten liegt.Außerdem haben es Cheater sehr leicht wenn sie den Client ändern dürfen wie sie wollen.Bei Einzelspieler Spielen sieht es natürlich anders aus. Hier verbitte ich mir jede Einmischung des Herstellers.

  11. Fremdbestimmung bei MMO´s kann auch aus einer ganz anderen perpektive heraus betrachtet werden, nämlich am inhalt des Titels.Den wenn in Spielen diverse Symbole, Bräuche und Riten "zelebriert" werden, nimmt es den "spieler" in dem Fall mit auf eine Reise….egal ob fasziniert, oder abgeschreckt von der Aufgabe die der Avatar absolvieren muss, bekommt man doch eine mehr oder minder Linear gehaltene Story also auch gedankengut von jmd andres serviert, konsumiert und hinterfragt evtl. garnicht was mir da in den Hirnkasten rieselt.Ein paar Beiträge vor mir hat Gentry etwas über eine politische bewegung anno 1930-1940+ erwähnt…wenn man jetzt auf heutetige Zeit schaut, mit einbezieht wie weit die wissenschaft vorangeschritten ist, also auch die psychologie, soziologie und vor allem der kontroll und kapitalwahn. könnte man dann nicht zu dem entschluss kommen das der, der MMOS täglich konsumiert, sich auch selbst verdummt, da er kaum neuen input bekommt, sondern immer und imemr wieder das selbe vorgekaute leicht zu verdauende….die abenteuerlust befriedente kost serviert bekommt und sich denkt "och ich spiel doch en elf, was hat ein elf mit der wirklichkeit zu tun?" – der ist doch schon opfer seiner eigenen kurzsichtigkeit.

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