Was lange währt … wird eines Tages vielleicht doch fertig?
“Age of Decadence” wird keine Industrie-Awards gewinnen. Es wird wahrscheinlich auch keine Publikumspreise gewinnen. Aber es wird seine Nische höchstwahrscheinlich sehr gut bedienen können … so es denn eines Tages erscheint. Weiß man bei diesen kommunistischen, langhaarigen Hobby-Indie-Fricklern ja nie.
Doch nun ist vor einigen Tagen eine Demo erschienen, die im Rahmen eines Arena-Turniers das Kampfsystem und Teile des Spiel-Interfaces vorstellt. Man kann um die Arena herum ein wenig durch die Gegend laufen, mit NPCs reden, mit Händlern handeln und bekommt so einen ganz guten Eindruck, wie sich das fertige Spiel denn eines Tages anfühlen wird.
Wie isset nun? Kann das was werden?
Ja, das könnte was werden.
Optisch darf man natürlich keine Wunder oder gar Graphik auf dem aktuellen technischen Machbarkeitsststand erwarten, aber Oldschool-RPGler wollen das auch gar nicht. Oldschool-RPGler, welche die Zielgruppe dieses Projektes darstellen, wollen ein rundenbasiertes Kampfsystem, weil sie miserable Reflexe haben und viel Dialoge und Quests und Story und NPCs, weil sie im Grunde nur ein interaktives Buch genießen wollen. Allerdings haben Oldschool-RPGler auch nix gegen eine schöne Aussicht, betrachten eine nette Optik aber eher als Bonus denn als Notwendigkeit. Dass AoD offenbar an der Quake-Krankheit leidet (Braun- und Rottöne bestimmen das Bild) kann man immerhin damit begründen, dass das Spiel in einer post-apokalyptischen Welt spielt, nachdem deren Vorgängerin in einem magischen Armageddon fast vernichtet wurde. Die 3D-Engine läuft zumindest bei mir klaglos und scheint in ihrer technischen Einfachheit ideal für Besitzer älterer Rechner oder Notebooks zu sein. Sehr schön sind aber die Animationen der Figuren vor allem während des Kampfes gelungen. Da stört es überhaupt nicht, wenn alle Modelle mit einer geringen Polygonanzahl gestaltet wurden, die jeweiligen Bewegungen sind flüssig und glaubhaft animiert worden. Gut, “Rennen” bekommt IMHO kaum jemand richtig hin, aber Ausweichmanöver, diverse Angriffe und vor allem das endgültige Zusammensinken des getroffenen Gegners sind sehr schön gelungen. Kann man nicht meckern.
Nachdem ich einige Worte mit dem Veranstaltungsleiter gewechselt habe, betrete ich die Arena. Der Boden wird von einem Netz aus Spielfeldquadraten bedeckt, die ich mit Rechtsklick beliebig beschreiten kann, sofern meine Aktionspunkte ausreichen. Vorher habe ich noch lustig Fertigkeiten-Punkte vergeben, beschränke mich (da nur eine Combat-Demo) auf Stärke, Konstitution und Angriffswerte für Klingenwaffen, weil sich in meinen Gepäck einen ebensolche befindet. RPG-Veteranen finden sich sofort zurecht.
Der Gegner erscheint. Ich laufe auf ihn zu und kann ihm gerade noch einen Schlag verpassen, bevor meine Aktionspunkte aufgebraucht sind. Die Sau weicht jedoch aus, startet einen Konter UND beginnt dann frecherweise seine eigene Runde. Meinetwegen. Gelassen ertrage ich seine Treffer, habe ich doch wohlweislich auf hohe Konstitutionswerte gesetzt. Jetzt komme ich wieder dran. Er weicht wieder aus, doch der zweite Schlag trifft kritisch. Bei der nächsten Runde ziele ich auf seinen Kopf, muss dafür aber erheblich mehr AP investieren, so dass ich in dieser Runde nur einen Angriff durchführen kann. Zwei Runden später liegt der erste Gegner tot und nackisch im Staube, loote ich doch anschliessend seine Besitztümer. Weitere Kämpfe werden schnell schwerer, was zum einen daran liegt, dass ich ganz vergessen habe nach jedem Kampf neue Erfahrungspunkte zu verteilen und zum anderen, dass sie tatsächlich schwerer werden. Knüppelträger schleudern mich ein paar Schritte weit weg, so dass ich wertvolle AP benötige, um wieder auf Schlagdistanz zu kommen. Armbrustschützen weichen ständig aus und beharken mich aus sicherer Entfernung. Ruckzuck liege ich nun selbst im Staube und ergötze mich am wohl bekanntesten Gemälde von Jean-Léon Gérôme, “Pollice verso”, Public Domain sei Dank 🙂
Schnell komme ich auf den Trichter, dass mir meine ultrabrutalen Angriffswerte nicht viel nützen, wenn ich dem Gegner hinterherlaufen muss oder dieser ständig mit Bonusangriffen kontert. Ich fange von vorne an und investiere mehr in Defensivwerte, überlebe nun mehr Kampfrunden, bevor auch hier irgendwann das Ende naht. Im Spielverzeichnis liegen zwar jede Menge End-Screens, je nachdem, welche Antwort man dem Präfekten nach dem finalen Kampf zum Schluss gibt und ob man sich noch mit seinen Wachen anlege oder nicht, aber soweit bin ich vorerst nicht gekommen. Zumindest ist das Bemühen deutlich zu erkennen, den hehren Versprechungen auf der Projektseite nach vielen Handlungsoptionen und entsprechend vielen Handlungsverzweigungen auch Taten folgen zu lassen.
Auf jeden Fall sind die Handvoll Jungens von Irontower Studios (unter ihnen zB. Herr Salgado aka Oscuro, verantwortlich für Oscuros Oblivion Overhaul, der Mod, der für nicht wenige Oldschool-RPGler Oblivion erst so richtig spielbar gemacht hat) auf dem richtigen Wege. “Age of Decadence” scheint genau das zu werden, was im Vorfeld versprochen wurde: Ein klassisches Rollenspiel mit Schwerpunkt auf rundenbasiertem Kampf, einem durchdachten, nicht allzu einfachen Kampfsystem, vielen Dialogen und Handlungsmöglichkeiten. Solide, angemessene Präsentation und ein Interface, welches etablierten und bekannten Standards folgt. Keine Neuerfindung des Rades (was auch niemals beabsichtig war), sondern “nur” ein Spiel in der Tradition der Genre-Klassiker. Ein Spiel, wie man es heute im Grunde (fast) nicht mehr macht. Und wenn es Basilisk Games geschafft haben mit einem Spiel wie “Eschalon Book One” nicht nur die Produktionskosten einzufahren, sondern auch genügend Gewinn zu machen, um während der Entwicklung des zweiten Teils mit eben diesen Gewinnen alle laufenden Rechnungen bezahlen zu können, wenn Firmen wie Spiderweb Software seit Jahren davon leben können, prä-historische Rollenspiele zu entwickeln …
… scheint es tatsächlich einen tragfähigen Markt für diese Art Spiel zu geben und wir armen Oldschooler uns nicht mehr die Augen ausweinen müssen, weil der Releasekatalog vieler Majors unsere Bedürfnisse Jahr um Jahr immer weniger bedient.
Ich bleibe guter Hoffnung …
Gibt es auch eine Chance für „broken hourglass“? von AoD habe ich nur per Zufall erfahren, aber „broken hourglass“ habe ich schon verdammt lang auf meiner Liste stehen :(.
Wie dem auch sei, im Zuge des IGF 2010 (Independent Games Festival) und der Preiseanwärterliste gibt es auch eine Meldung von Limbo – seit 2006 nichts mehr von gehört und nun ein Lebenszeichen? Na gut, es gibt immer noch keine Informationen, aber zumindest scheint es noch da zu sein.
Habe die Demo auch gespielt und kann Dir nur zustimmen.
Ich habe den ganzen Echtzeit-und blitzschnell-knöppigedrücke-Krampf in Rollenspielen satt.
Zurück zum Rundenkampf – der Rest eines Spiels wird von mir dann gleich viel wohlwollender betrachtet.