Es ist tiefster Winter, draussen ist kalt, es schneit und wenn es nicht gerade schneit, ist der Himmel grau und trübe. Ich bin eigentlich krank, aber nicht krank genug, um das Bett hüten zu müssen. Ich hätte eigentlich Zeit und Muße zum Nonstop-Zocken.
Letzte Woche, da habe ich mir eine neue Festplatte gegönnt, weil mir mein Bruder seine Musiksammlung (weit über 20 Jahre fleissiges CD-kaufen und –sammeln, alles schön ge-FLACt und sauber getagged) rüberkopieren wollte. Knapp 600 GB an Daten wollen erstmal verstaut werden. Nun steht hier eine 1.5 TB-Platte, die dann auch gleich all den Kram vom Desktop-Rechner aufnahm, den ich nicht ständig brauche. Sprich, wieder Platz im Überfluss. Platz, den ich auch gleich mit einer Reihe Spiele gefüllt habe. Für den Fall, mich überkommt spontan das Bedürfnis nach dem einen oder anderen Titel. Meinem Traum der Alles-Auf-Knopfdruck-Verfügbarkeit, den ich seit den Tagen meiner ersten 80 MB-Festplatte habe, komme ich so ein Stück näher.
Da gibt es einen Ordner mit alten DOS-Spielen. Alle (!) meine alten DOS-Spiele, sorgsam über die Jahre hinweg von Speichermedium zu Speichermedium kopiert und archiviert. Sind, inklusive etlicher der CD-Images der Prä-Windows95-Ära, auch nur lächerliche 26 GB.
Dann gibt es einen Ordner mit allen als ROM verfügbaren SNES-Modulen. Klägliche 1,6 GB.
Dann gibt es einen Ordner mit meiner inzwischen recht umfangreichen GOG-Sammlung. Immerhin 40 GB.
Der Rest des Ordners “Spiele” belegt etwa 210 GB, zusammengesetzt aus Spielen der letzten 10-8 Jahre, nur wenige aktuelle Titel, das meiste so zwischen 2000 und 2005. Nur ein kleiner Auszug aus meiner Sammlung.
Ich wage nicht daran zu denken, wieviele Titel das jetzt insgesamt sind. Was mir als Jugendlicher wie ein ferner Traum erschien, alle meine Spiele auf einer Festplatte zur Verfügung zu haben, anstatt ständig Savegames zu sichern, zu löschen und das Diskettenlaufwerk zu strapazieren, das ist jetzt, hier und heute, in dem Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe, reale, begreifbare und tatsächlich existente Wirklichkeit.
Und was mache ich? Ich scrolle durch den Ordner-Baum, habe hier und da einen Flashback, muss für einige Minuten DOSBox anwerfen und scrolle danach weiter. So richtig “spielen” ist das aber nicht. Alleine die Vorstellung, all diese Titel wieder durchzuspielen … nääää, lass ma gut sein. Ich genieße wieder das Intro zu “Eye of the Beholder”, das Intro von “Alone in the Dark”, klicke mich kurz durch das erste Kapitel von “Star Trek 25th Anniversary”, bekomme bei “Battle Chess” wieder schnell was auf die Mütze und vertändele den Tag mit “Arkanoid II”. Dann eine Runde “Final Fantasy 6”, nur um ein klein wenig ins Träumen zu geraten. Aber so richtig spielen?
Zwischendurch dachte ich, dass ich dem typischen Überfluss-Phänomen erlegen bin, wenn man von den Dingen, die man normalerweise begehrt, plötzlich soviel hat, dass man sich gar nicht mehr mit ihnen beschäftigen möchte. Ich stand kurz davor, bis auf eine Handvoll Titel wieder alles zu löschen, um besser “fokussieren” zu können. Dann aber …
Dann wurde mir bewusst, was ich seit einigen Tagen eigentlich tue.
Ich mache das, was man plötzlich macht, wenn man beim Ausmisten des elterlichen oder eigenen Dachbodens/Kellers auf eine Kiste, einen Schrank voller alter Bücher oder Spielsachen stößt. Man fängt an zu kramen und zu stöbern und zu blättern und Bauklötzchen zu stapeln und Glasmurmeln zu kicken und Playmobilfiguren auf die Bauklötzchen zu stellen, um sie dann mit dem alten Spielzeug-Katapult der Ritterburg alle zusammen runterzuschiessen und dabei die Zeit zu vergessen.
Jetzt, da mein damaliger Traum endlich erfüllt werden kann und mir tatsächlich ALLE (!!!!) meine Spiele auf Knopfdruck zur Verfügung stehen können, fange ich nicht an depressiv zu werden, sondern merke plötzlich, was für eine herrliche Möglichkeit das nun darstellt. Das älteste Spiel (soweit ich das eben überblickt habe), das ist auf meiner Festplatte derzeit “Wizardry 1” aus dem Jahr 1981. Bald 30 Jahre ist das her. Und ich kann die Jahre nun rauf und runter scrollen, kurz in einen Jahrgang eintauchen, zB. die wunderschöne Pixelkunst früherer Westwood-Spiele bewundern oder mir die Fußnägel aufrollen lassen, wenn ich dem originalen PC-Speakersound lausche und jetzt verstehe, warum mein damaliger Wohnheim-Zimmernachbar nachts um Drei angefressen ins Zimmer stürmte und meinte, ob ich denn jetzt auch endlich mal Ruhe gebe … und ich reise die Zeitskala nach oben, tauche in die Schlussphase von Drakensang ein und komme angesichts des enormen technischen Fortschritts im Vergleich von Wizardry 1 zu diesem Spiel überraschenderweise doch wieder ins Staunen, wenn die Wasserwellen realistisch das Licht reflektieren, auf dem 3D-Modell meines Charakters Knöpfe scharf und deutlich und erhaben zu erkennen sind. Als ob da wirklich Knöpfe wären.
Nein, ein Fluch ist dieses scheinbare Überangebot an Spielen auf meinem PC nicht. Denn ich habe nicht den Zwang, das alles jetzt spielen zu müssen. So wie ich ja auch nicht im Museum den Zwang habe, jetzt alles auf einmal anschauen zu müssen oder in einer Bibliothek alles lesen zu müssen. Meine Festplatte ist jetzt ein Museum für knapp 30 Jahre Computerspiel-Geschichte. Und bald, bald befinden sich ALLE meine Spiele auf einer Festplatte und Jahrzehnte von Spielzeit und Erinnerungen befinden sich in einem flachen, schwarzen Rechteck. Jederzeit kopierbar und archivierbar, niemals Gefahr zu Laufen, verloren gehen zu können. Ich frage mich, ab welcher Menge an Daten selbige plötzlich beginnen ein eigenes Bewusstsein zu entwicklen?
Doch bevor sich hier Assoziationen zu einem anderen schwarzen Rechteck breitmachen und ich den Bowman mache … wühle ich mich einfach weiter durch die Ordnerstruktur. Ist ja schliesslich kalt und dunkel draussen, ist ja Winter und traditionelle Zockzeit!
Ich glaube, das war der schönste Text, den ich je von dir gelesen habe.
Ich glaube, das ist der schönste Text, den ich je von dir gelesen habe.
Du könntest öfter krank sein 😉
Ähm… Mist. Lösche den oberen Beitrag wieder. Da ist was schiefgelaufen.
(nö, bleibt alles für die nachwelt erhalten)
Danke sehr, gern geschehen!
Goodbye Time Traveller!
Hach ja, aber so ein kleines wehmütiges Seufzen kann einem schon über die Lippen kommen, wenn man durch die Zeit browst und all die Erinnerungen wieder hochkommen, die man bei einem bestimmten Spiel und den sich zu dieser Zeit abspielenden Ereignissen im Leben hatte.
Aber genau diese Ereignisse und die Erinnerungen daran formen und prägen uns und man sollte ihnen offen begegnen und den Trip durch die Zeit einfach nur entspannt und losgelöst genießen.
Vergiss nicht Backups anzulegen, sonst ist irgendwann alles auf einmal futsch!
Zum Schluß musste ich unweigerlich an William Gibsons Mona Lisa Overdrive denken. Mal sehen in wieviel Jahren auch das Realität wird.
Wollte gerade schreiben: „alles auf einer Festplatte“ … und dann geht das Ding kaputt…
Völlig OT: Blick in die Computerspielefabrik:
http://amusement.fr/index.php?/gallery/made-of-myth/
*Seufz* Da wird man ja schon ein wenig wehmütig und fragt sich, was wohl wäre, wenn man all seine alten C64- und Amiga-Games auch wieder plötzlich auf einen Klick parat hätte und sie so genießen könnte, wie damals, vor 20 Jahren und mehr.
(Aber auch ich würde raten: schnell nochmal so eine Festplatte kaufen und ein Backup vom Backup ziehen ;-))
lass dir das eine Warnung sein:
http://www.retrozentrale.net/?p=3201
Deshalb kaufe ich Festplatten immer nur im Doppelpack oder benutze die alten als Spiegel für die neue (also z.B. zwei alte 1TB, dazu eine neue 2TB).
Aber meine Festplatte sieht ähnlich aus, ich hab da eigentlich jedes Spiel verfügbar das man sich wünschen kann, abgesehen von CD-basierten Konsolen aufwärts. Dazu kommen noch über 1000 Zeitschriftenscans, diverse Texte zu Spielen, Spielesoundtracks, Zehntausende Screenshots und Spielescans usw usw Virtuelles Spielemuseum sozusagen 😉
Die meisten Leute denken immer an Hardwareausfälle und dann sind es eben so profane Userfehler, die alles zerstören. Oder Softwarefehler. Da hilft auch kein RAID 1, was ja viele für eine Datensicherung halten.
Der Punkt ist ja … ich habe ja alles noch auf anderen Datenträgern, auf Backup-CDs und den originalen Datenträgern. Jetzt sind aber die Festplatten endlich groß genug, respektive bezahlbar genug, dass ich zumindest die älteren Spiele alle bequem auf eine einzige Platte packen kann. Sprich, das IST das Backup 🙂
Erinnert mich spontan dran, dass ich auch mal richtige Backups anlegen sollte…
Ja von dem ‚Alles auf eine Platte packen‘ kann ich gleich 2 Lieder singen!
Hatte mal einen Platte basierenden MP3 player, ich bin nicht grade Zaghaft mit umgegangen, aber er hatt Stürze immer Überlebt, iwann hatt er dann trotzdem angefangen zu Ticken wie ne Uhr 😀
Ergo: Alles an Musik weg und da davon gut 80% aus DL’s bestand durfte ich mich erneut durch hunderte RS links klicken!
Ich kaufe natürlich was mir gefällt 😉
Das mit dem Knopfdruck irritiert mich. Ich bin auch etwas nostalgsich veranlagt und habe noch alte C64-, Amiga- und PC-Spiele zu Hause. Einiges habe ich auch schon auf Platte gezogen – war beim C64 nicht ganz so einfach und der Amiga fehlt noch. Es ist kein Problem, das alles auf einer Platte zusammenzupacken, ES ABER AUF KNOPFDRUCK zum Laufen zu bringen, scheint mir nicht so einfach. Für die verschiedenen Emulatoren – und insbesondere DOSBox – muss doch jedes Spiel erst einmal individuell konfiguriert werden, oder? Das ist doch ein Riesenaufwand damit Sound- und Grafikeigenschaften korrekt abgebildet werden? Und wie machst Du das mit Spielen wie Age of Empires, die normalerweise unter Windows installiert werden müssen, bevor man sie starten kann? Ich fände das nämlich auch ganz schön – so auf Knopfdruck und über die Jahrzehnte auf den sich ununterbochen ablösenden Betriebssystemen spielen zu können.
Oft genug laufen die Spiele mit Emulator-Default gut genug. Und wenn, muss ich nur einmal frickeln und dann wird Spiel + Emu + Config abgespeichert … um dann auf Knopfdruck alles zu haben 🙂
richtig toller Artikel 😀 und hat mich irgendwie dazu motiviert all meine Daten zu backupen 😀