Sabotage

Zu “Crayon Physics Deluxe” muss ich, denke ich, wohl nicht mehr viel sagen. Charmante Idee, charmante Umsetzung und ein breites Grinsen auf dem Gesicht vieler Leute, die dieses Kleinod zumindest nur kurz angespielt haben.

Charmant finde ich es daher, wenn Kollegen, anstatt die Arbeitszeit traditionell mit Minesweeper oder Solitär zu verbringen, sich für die Erstellung handgezeichneter Rubens-Goldberg-Maschinen bezahlen lassen. Man spielt “Crayon Physics Deluxe”. Gut, ungewöhnlich ist das nicht, verbringt der Admin von Welt doch min. die Hälfte seiner Arbeitszeit mit Quake Live oder beim MMO-Grinden. Doch hier spielt kein Admin. Auch niemand, den man sonst als besonders technik-affin bezeichnen würde.

Ich finde das gut. Ich denke, ich bringe nächste Woche “World of Goo” mit, um der Produktivität endgültig den Todestoß zu verpassen.

Oder auch nicht.

Denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass erboste Chefs, in dem Glauben, es erhöhe die Produktivität, wenn man den Mitarbeitern nur den allernotwendigsten Zugriff aufs Netz gewährt und Büro-Rechner so strikt verwaltet, dass der Mitarbeiter jedes Mal den IT-Support um Erlaubnis bitten muss, wenn er in der Textverarbeitung einen neuen Absatz beginnen will, jeglicher guter Arbeitsatmosphäre und jeglicher Bereitschaft, unaufgefordert und bereitwillig Überstunden zu leisten, den Todesstoß versetzen.

Ich habe lange Jahre in einem mittlerweile sehr großen IT-Unternehmen gearbeitet. Als der Laden noch kleiner war und man tatsächlich das Gefühl hatte, allen etablierten Großfirmen da draussen erfolgreich den Stinkefinger zeigen zu können, weil man ein gutes Produkt, einen guten Dienst nach dem anderen veröffentlicht hatte, da konnte jeder so ziemlich alles auf dem Arbeitsrechner installieren, was man wollte. Gegen Viren gab eine es vernünftig konfigurierte Firewall und Antivirus-Lösung.  Bei Software-Problemen wurde einfach ratzfatz ein Standard-Image drübergebügelt, da jedem Mitarbeiter erfolgreich eingebleut wurde, alle Arbeitsdaten nicht auf dem Arbeitsplatzrechner, sondern im Firmennetzwerk abzulegen. Ab und an gab es zwar einen Rüffel (samt Abmahnung) für besonders lernresistente und unfähige Mitarbeiter, im Großen und Ganzen bestand aber ein lockeres Leben für Mitarbeiter und den IT-Support. Da wurde selbstverständlich alles mögliche an Flashgames gezockt oder Netzwerk-Sessions abgehalten. Da gab es tatsächlich Beschwerden über das Marketing, dass dieses durch ständiges Versenden gigantischer Mail-Anhänge den Ping beim Zocken ruiniert.

Dann jedoch, dann wuchs die Firma, was bei entsprechendem Erfolg auch das Normalste der Welt ist. Und eines Tages wurden den Leuten alle Rechte genommen, eine strikte Verwaltungsdenke hielt Einzug. Effizienz. Saubere Rechner. Brave Arbeitsdrohnen. Keine Ausnahmen mehr. Kein Spass mehr. Sogar die traditionellen Massendiskussionen via zentralem Mailverteiler am Freitagnachmittag wurden abgewürgt, weil man nicht schwätzen, sondern arbeiten sollte.

Es passiert, was passieren muss. Es gab keine freiwilligen und gerne erbrachten Überstunden mehr. Es wurde Dienst nach Vorschrift gemacht. Es wurden auch nur noch Vorschläge und Ideen nach Vorschrift gemacht, was den kreativen Output von Producern und Entwicklern auf Null drückte. Und als der Vorstand sich in einer Sitzung bitterst (mit vier Ausrufezeichen, fett UND kursiv) darüber beklagte, dass die Mitarbeiter ja alle total Scheisse sind, nur noch rumlungern und jetzt (es war etwa 18:30 abends) der Parkplatz im Vergleich zu früher wie ausgestorben ist, weil alle nach Hause gegangen sind … da saß man nur heimlich, still und leise in der Ecke und dachte sich:”Haste toll gemacht! Die eigene Firma sabotiert! Glückwunsch, Du Depp!”

Von daher …

11 Kommentare zu „Sabotage

  1. Nun, der Vorstand deiner alten Firma hat nicht begriffen, wie Kreativität funktioniert. Wie Motivation und Engagement funktioniert scheinbar auch nicht.
    Ich hoffe, du hast es nun besser getroffen.
    Kreative Leistung ist nicht verbrachte Arbeitszeit mal Schweiß.

  2. In meiner letzten Firma lief die Arbeit ungefähr so aus:
    – Die Projektleitung (null Ahnung von IT) plant deinen Tag („Du hast 30min für Aufgabe A und 2,5h für Aufgabe B.“ – „Aber ich brauch für Aufgabe A länger, schon allein wegen Recherche!“ – „Du hast 30min, fertig. Alles andere ist zu teuer.“
    – Ich hab die gewünschten Zeiten versucht einzuhalten, Fehler über Fehler, Nachbessern, etc.
    – Ärger, Ärger, Ärger.

    Ich bin dann gegangen, weils mir zu doof war. Obwohl es immer ein Traum von mir war, in diesem Laden zu arbeiten.

    Jetzt arbeite ich in nem winzigkleinem Betrieb, kümmer mich um ein einzelnes Projekt und wenn ich sag: „Ich weiß noch nicht genau, wie lange ich dafür brauche.“ dann antwortet der Chef: „Kein Problem.“

    Ich hoffe, dass das erstmal so bleibt. 🙂

  3. Projektmanagement ist eigentlich ganz einfach. Man setzt sich mit den Menschen zusammen, welche die Arbeit tun müssen, hört (!) ihnen zu und bastelt aus ihren Zeitangaben den Projektplan. Dieser Plan wird dann zusammen (!) mit diesen Personen, jeden Tag immer auf’s Neue abgestimmt und angepasst. Wo hängt es, was ist zu tun, wo ist man schneller fertig geworden, wo hat man wieder Pufferzeit, wo muss leider eine Zeit lang Überstunden geschoben werden, weil dieser Teil fertig werden muss.

    Man kann allerdings auch an seinem Platz sitzen, brav nach den gelernten Vorgaben und extrapolierten Zeitdauerannahmen einen schönen Projektplan basteln, der ausgedruckt toll an der Wand aussieht und diesen den Umsetzern dann einfach vor die Nase setzen. Damit man sich nicht mit ihnen beschäftigen muss. Weil man Angst vor ihnen hat, weil man unsicher ist, weil man nämlich oft genug keine Ahnung von der Materie hat, die man projektieren muss …

    Eine unendliche Geschichte 🙂

  4. Kennst du meine alte Projektleiterin? Oder gibt es etwa mehr von denen da draußen?! Ist ja gruselig, der Gedanke…

  5. weist du was das problem ist?

    Es gibt etwas zu tun… anstatt des es 2 Mann erledigen gibt es einen der das Projekt leitet, 4 man im Review Gremium und 3 man die es erledigen sollen – ohne aber dafür freigestellt zu sein oder überhaupt eine Minute Zeit zu haben.

    Fazit: 1 Mann Vollzeit und 4 mann teilzeit bezahlt, 0 Leistung

    Hoch lebe die Projektleitung

  6. Habe da Glück bei meiner Firma. Da gibt es noch viele Freiheiten. Nicht mehr so extrem wie bei Dir im Blogposting geschildert, aber es ist eigentlich recht relaxt. Und fast jeder macht freiwillig Überstunden, eben weil es keine Zwänge gibt.

  7. Das Problem besteht oft genug nur darin, dass Leute Projektmanager werden, die über viel zu wenig Social Skills verfügen. Und werden tun sie das, weil diejenigen, die sie einstellen, nicht wissen, dass man als Projektmanager ZUVORDERST Social Skills ohne Ende benötigt und erst in zweiter Linie so Dinge wie Fachkenntnis und Ausbildungsnachweise kommen.

    Ein guter Projektmanager arbeitet nicht am Computer und bastelt schöne Netzpläne, sondern er arbeitet mit Menschen und schiebt das lästige Netzplanbasteln an Praktikannten und Junior Product Manager ab 🙂

  8. Das schlimmste ist eigentlich, dass man teilweise diesen ganzen Kram, den man da macht auch noch protokollieren muss. So wegen der Rückverfolgung und Evaluation und so. Da müssen die Ausführenden dann neben der eigentlichen Arbeit und dem Herumschlagen mit der Projektleitung noch bescheuerte Berichte für die Revision schreiben. UND DANN rufen auch noch Kunden an…

  9. Das mag für junge Hüpfer frisch von der Uni ja ganz reizvoll sein, den ganzen Tag zu zocken und die Arbeit dann bis spät in die Nacht nachzuholen. Solange die Venture-Kohle noch reichlich fließt, kann der Unternehmer das ja relaxed handhaben, auch wenn es dann irgendwann wie bei DNF endet. 😉

    Jemand der älter ist und Familie hat, ist irgendwann ganz froh, pünktlich Feierabend machen zu können, und weiß einen strukturierten Tag zu schätzen.

  10. Es bestehen durchaus Unterschiede zwischen strukturiertem Arbeiten und einem überorganisierten Circle-Jerk 😉

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