Lerneffekt

Dank der vorsorgenden Umsorgung der Telekom erblieb es mir erspart am Freitag das Eintrudeln der News von Jowoods Insolvenzantrag live mitzuerleben. Als ich gestern davon erfuhr, da war ich eher nur vom frühen Termin überrascht. Man hatte zwar abschätzen können, dass sich Arcania nicht wirklich toll verkauft, aber scheinbar sind die Absatzzahlen doch so drastisch unter den Erwartungen geblieben, dass Jowood sich nicht einmal bis ins Frühjahr retten konnte, bzw. die Mitarbeiter schon im Dezember keine Gehälter bekommen haben.

Und nun war’s das. Eine nicht unendliche, aber unsägliche Geschichte geht zu Ende. Und ich muss nicht Arcania kaufen 🙂

Bis 2003 war mir Jowood nur ein deutschsprachiger Publisher unter vielen. Ich hatte keine negativen Erfahrungen mit der Firma oder ihren Spielen gemacht, es gab auch keinen Grund für Jubelarien und ausgiebige Beweihräucherungen. Ich hatte meinen Spass mit Arx Fatalis, mit Gorasul, mit Aquanox, mit Silent Storm. Solide, unterhaltsame Spiele von einem soliden Anbieter.

Mein „Beef“ mit Jowood begann erst im Herbst 2003, als ich eigentlich Spellforce zocken wollte, eine unfertige Beta, unleserliche Seriennummern, ein verbuggter Kopierschutz und eine vollkommen überforderte Supportforen-Moderation jedoch alles taten, um den Ruf dieser Firma innerhalb weniger Tage von Neutral Good auf Chaotic Evil zu ändern. Aus Jowood wurde Klowood und aus mir unerfindlichen Gründen setzte diese Firma alles daran, diesen negativen Ruf nicht nur mir gegenüber zu erhalten, sondern auch stetig gegenüber anderen auszubauen.

Katastrophenreleases von zB. Titeln wie Die Gilde 2, die Peinsamkeiten rund um Söldner (wer sich noch daran erinnern möchte) und nicht zu vergessen das Drama rund um den Release von Gothic 3, wo Klowood nicht nur erneut ein nahezu unspielbares Produkt in die Regale gestellt hatte, sondern zusätzlich noch versuchte die Presse mit Drohanrufen und Zensur zu einer genehmen Berichterstattung zu zwingen (Hintergründe hier und hier), waren nicht die Ausnahme, sondern immer öfter die Regel. Hier wurde unprofessionell, rücksichtslos und stets am Rande der Insolvenz herumdilettiert. Und das war nur die Spitze des Eisbergs, die Geschichten, welche an die breite Öffentlichkeit gedrungen sind.

Doch das ist nun alles passé, Vergangenheit, vorbei, vorüber. Sicher, es ist durchaus denkbar, dass die Verantwortlichen wieder irgendwoher Geld sammeln (die Mutter der Narren ist immer schwanger) und unter neuem Namen diesmal im Browserspiel-Genre auftauchen (muhahahaha!), aber Jowood ist nicht mehr. Finis! Rien ne va plus!

Jo, und nu? Einfach Schwamm drüber und vergessen? Ablegen in die Schublade für Kaminfeuergespräche unter alten Gamersäcken? Klappe zu, Affe tot?

Nope. Wir wollen doch mal sehen, was man aus der „Akte Jowood“ so alles lernen kann:

1. Wer eine auf dem deutschen Markt starke und bekannte Marke sein Eigen nennt, hat schonmal dreiviertel der Miete eingefahren.

2. Der deutsche Kunde lebt nach dem Prinzip „Fool me once, shame on you. Fool me twice, shame on all the critics. Fool me a hundred times, shame on … erm, LOOK, THERE! *wegrenn* “

3. Wer es trotz bekannter und starker Marken und trotz der Nibelungen-Wagenburg-Mentalität der deutschsprachigen Kundschaft dennoch nicht schafft sich kommerziell über Wasser zu halten, der muss derart viele Dinge falsch machen, dass man fast schon von Absicht und bewusstem destruktiven Verhalten ausgehen muss. Oder von einem derartigen Ausmaß an Inkompetenz, dass man als höflicher Mensch nur noch peinlich berührt schweigen kann.

Nein, Jowood war und ist nicht unnütz. Denn diese Firma kann immer noch als schlechtes Beispiel dienen! Aber wie wir die Menschen so kennen, wird eh niemand daraus lernen wollen. Es wird wieder Firmen geben, die über Jahre hinweg erfolgreich auf das im Picosekundenbereich operierende Kurzzeitgedächtnis der Kunden setzen. Es wird weiterhin genug Kunden geben, die sich an ihrem kurzen Kurzzeitgedächtnis nicht stören, weil sie ja wieder vergessen haben, dass sie auf Grund ihres kurzen Kurzzeitgedächtnisses nichts lernen können.

Ja, die Hauptverantwortung für Firmen wie Jowood sehe ich nicht unbedingt bei irgendwelchen phösen, phösen Manatschern. Ich sehe sie bei Kunden, die aus Desinteresse, Naivität und einem eklatanten Mangel an Lernbereitschaft solchen Firmen über Jahre hinweg weiterhin als Kunde erhalten bleiben. Sicher, irgendwann bricht jeder Krug, der lange genug zum Brunnen gegangen ist. Denn der einzige Vorwurf, den sich die Verantwortlichen bei Jowood gefallen lassen müssen, ist die Leidensfähigkeit der deutschsprachigen Kundschaft überstrapaziert zu haben. Mit nur ein wenig, ein klitzekleinwenig mehr Professionalität und einem qualitativ nur etwas besseren Release ihrer Spiele würde Jowood finanziell wahrscheinlich immer noch einigermassen akzeptabel dastehen.

Aber hey, was weiß ich schon …

56 Kommentare zu „Lerneffekt

  1. Wenn man nicht mit dem einverstanden ist, was dort passiert, und man jeden Tag seine Kunden anlügen muss, und denen Betasoft andreht, dann sollte man zumindest, wenn man denn ein paar Prinzipien hat, sich nach was neuem umsehen. Das kann nebenher passieren, ohne das man vorher kündigen muss.
    Wenn man nichts findet, und eben eine Familie zu ernähren hat, ok, aber 27 Leute die nichts anderes finden können?
    Das erscheint mir dann doch fadenscheinig.

  2. Huiuiui! Wieviele Jobs im nicht-managementbereich hattest du bisher? Da lernt man gut, dass meist auf die worte von erfahrenen mitarbeitern geschissen wird und diese genauso Opfer des managements sind!

  3. Naja, das Problem bei Gametrailers ist, falls man sich für Wertungen überhaupt interessiert, dass die übertrieben hoch bewerten.
    Da ist die Wertungsinflation der Gamestar noch moderat gegen, und das will was heissen.

  4. Da mach ich es mir einfacher, ich hör einfach zu was die zu sagen haben und die Szenen dazu und bild mir davon eine Wertung 😉

    Das was gesagt wird, ist inhaltlich meist sehr korrekt und die Spielszenen unterstreichen die meisten Punkte auch gut.

    Ich würde doch niemals Hype-Bewertungen empfehlen, mir ging es wirklich nur um die Meinung die man sich aus dem gegebenen Material machen kann. 😉

  5. @Kampfhirn
    Fehler zugeben ist nicht so dein Ding, hmm ?
    „Präpotenz“, du liebes bisschen *gnhihihi*

  6. Ich hab mich doch eh entschuldigt und den Fehler zugegeben ( “ … Entschuldigung, da hab ich euch tatsächlich für eine Person gehalten …“).
    Das war auch völlig sarkasmusfrei und ehrlich gemeint. Nochmal: Entschuldigung.

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