Im Zuge der üblichen Wertungsstreitereien, die um jedes halbwegs populäre Spiel toben, kommt es vor allem im späteren Verlauf der Forenbeiträge, wenn all die kleinen Kinder (nicht nur im biologischen Sinne) ihren Unmut über die gemeine Bewertung des bösen Redakteuronkels über ihr aktuelles Lieblingsspiel abgelassen haben, mitunter zu sehr interessanten und vielschichtigen Diskussionen. Aktuell findet im 4P-Forum zur Review von Far Cry 4 eine kleine Abschweifung in Richtung “Charakterisierung in Videospielen im besonderen Hinblick auf Bösewichter” statt. Grundsätzlich lässt sich schnell feststellen, dass Videospiele, im Vergleich zu anderen Medien wie Film oder Literatur, kaum über faszinierende Charaktere verfügen und Charakterzeichnungen nur selten über ein simples Schwarz/Weiß-Schema hinausgehen.
Derzeit schaue ich “Orange is the New Black” an. Und auch nur deswegen, weil mich Netflix in den letzten Tagen penetrant darauf hingewiesen hatte. Weil mir das aller Wahrscheinlichkeit nach auch gefallen würde. So penetrant, dass ich fast schon geneigt war mit einem gepfefferten “You don’t tell what to do!” diese Serie mit nur einem Stern zu bewerten, auf dass man sie mir nie wieder vorschlagen wird. Gut, dass ich es nicht getan habe, den Netflix kennt meine Sehgewohnheiten und geschmäcker mittlerweile recht gut. NATÜRLICH gefällt mir die Serie. Zwar hat sie mich zuerst nicht wirklich interessiert, weil ich dem Gefängnis-Szenario nicht wirklich viel abgewinne konnte und weiterhin nicht abgewinnen kann. Aaaaaaaaaaaaaaaber …
Diese Serie hat, wie so ziemlich alle Serien, die mir ausnehmend gut gefallen, Charaktere, die mich sehr schnell packen und faszinieren. Von denen ich mehr erfahren will. Von denen ich mehr sehen und hören will. Nicht, weil sie besonders ungewöhnlich und ausgefallen wären, sondern weil sie auf zwischenmenschlicher Ebene funktionieren. Sie sprechen mich an. Von Mensch zu Mensch. Im Film- TV- und auch Literatur-Bereich gibt es jede Menge an Charakteren, die mich auf menschlicher Ebene ansprechen, die ich faszinierend und interessant finde. Das können gute Menschen sein, das können böse Menschen sein. Das können zwielichtige Menschen sein. Das können Menschen sein, die einfach nur ihr Leben leben wollen und dabei mal Gutes, mal Schlechtes tun, je nachdem aus welcher Warte man ihre Handlungen und deren Folgen einordnen möchte. Komplexe Charaktere, die mehr sind als nur schablonenhafte, einfache, simple Klischees.
Videospiele, die solche Charaktere haben, kann man an wenigen Händen aufzählen. Ich würde sogar behaupten, dass die zehn Finger eines Menschen dafür ausreichen. Im Vergleich mit Film und Fernsehen herrscht bei Videospielen in Sachen Charaktertiefe und –vielfalt geradezu wasserlose Wüste im Gegensatz zu den fruchtbaren Landschaften des Amazonas-Delta.
Gründe für diesen Mangel gibt es einige.
1. Spiele sind noch ein junges Medium.
Noch herrscht der Jahrmarkt-Charakter vor, der lange Zeit für den Film galt. Filme, das waren lange Zeit seltsame, krude Jahrmarktsbelustigungen für das einfache Volk. Kurze, actionreiche Episoden. Einfache, schlichte Geschichten. Kommt einem bekannt vor, wenn man an das Bild denkt, dass in der Öffentlichkeit immer noch über Spiele vorherrscht? Ein Bild, welches nun mal nicht ganz von der Hand zu weisen ist.
2. Spiele werden immer noch von den Majors dominiert.
Sicher, auch Filme und Serien und Bücher werden in erster Linie “gemacht”, weil da jemand Geld verdienen will. Es tummeln sich in diesen Bereichen jede Menger Leute auf Entscheiderpositionen, die zwar Ahnung vom Geldzählen haben, die aber nicht einmal ansatzweise verstehen und auch verstehen wollen, was z.B. einen guten Film ausmacht. Da werden am Reißbrett Filme gefertigt, geradezu detailversessen nach genauesten Zielgruppen-Analysen zusammengebaut und dann will das Teil doch niemand sehen. Obwohl doch alles drin steckt, was bei anderen Filmen so viel Geld eingebracht hat. Doch im Gegensatz zur Spielebranche gibt es in der Filmindustrie etwas, nicht viel, aber doch mehr Leute, die erkannt haben, dass man langfristig besser fährt, wenn man zumindest ab und an etwas kreative Qualität zulässt und Personen engagiert, die wissen, wie man gute Filme und Serien macht.
Nehmen wir z.B. Disney. An und für sich halte ich Disney auf Grund ihrer Haltung in Sachen Copyright für DEN Teufel schlechthin. Aber in Sachen Marvel-Verfilmungen hat man bislang sehr klug gehandelt, in dem man eine gute Mischung aus Routiniers wie Joe Johnston und Joss Whedon (als Ober-Guru-Schreiber und Koordinator des eigenständigen Marvel Cinematic Universe) und talentierten Neulingen wie den Russo-Brüdern einfach machen lässt. Gut, das kann wie im Falle von Altmeister Kenneth Branagh (erster Thor-Film) auch in die Hose gehen, aber insgesamt ist das mehr Hit als Miss in Sachen perfekt produzierter Popcorn-Unterhaltung auf unerwartet hohem Niveau.
Gib es das bei Spielen?
Nein. Bei den Spiele-Majors dominieren weiterhin die Buchhalter, die nur Geld zählen können und die in ihrem Rattenrennen, den Investoren Jahr um Jahr neue Wachstumsraten vorzulegen, auf geradezu selbstmörderische Art und Weise ihre Franchise kreativ ausbrennen lassen. Sicher, bislang ist es noch halbwegs gutgegangen, doch mit EA ist bereits der erste, der dieses Geschäftsprinzip vervollkommnet hat, wegen Versagen dieses Geschäftsprinzips mit Karacho gegen die Wand gefahren. Lernen die anderen aus diesem Schicksal? Es sieht nicht so aus. Jahr um Jahr werden die üblichen, mit großem Aufwand produzierten Fortsetzungen auf den Markt geblasen, weil der Markt NOCH eine Unmenge dieser hohlbirnigen, anspruchslosen Jahrmarktsbelustigungen aufnimmt.
3. Sind Spiele überhaupt geeignet, um vielschichtige Charaktere darzustellen?
Das habe ich bewusst als Frage formuliert. Weil man die Stilmittel, die man in passiven Medien benutzt, um einem Charakter mehr Tiefe zu verleihen, nicht immer Eins zu Eins in Spielen umsetzbar sind. Liegt der Mangel an überzeugenden Charakteren also am Medium selbst? Oder am Unwissen vieler Gamedesigner, wie man das mit spielerischen Mitteln umsetzen kann, selbst wenn sie dergleichen tun dürfen? Ich bin mir da noch nicht sicher. Vielleicht sind Spiele noch nicht soweit, vielleicht haben noch nicht genug Menschen genug gute Ideen gehabt, wie man das umsetzen könnte. Schaut man sich TV-Serien an, die an Dramaturgie und Anspruch den großen Bruder von einst, das Filmgenre, längst hinter sich gelassen haben, so hat das auch etliche Jahrzehnte gedauert, bis man hier eine Erzählform gefunden hat, die es ermöglichte weitaus bessere Geschichten zu erzählen, als dies in einem Film möglich war. Die Polizei-Serie “Hill Street Blues” hat Anfang der 80er viel von dem vorweggenommen und zum ersten Mal gebracht, was wir heute in Serien wie “Breaking Bad” fast schon für selbstverständlich annehmen. Vor Hill Street Blues galten feste Regeln im TV-Serien-Geschäft, die nahezu alle in der Verwendung der Serien als Werbeträger lagen. Lange Zeit haben auch hier nur die Buchhalter vorgegeben, was wie produziert wurde. Werbekunden durften nicht abgeschreckt werden, wollten diese sich doch in einem verläßlichen und “braven” Umfeld präsentieren.
Dass es solche Innovatoren im Spielebereich geben wird, darüber besteht für mich kein Zweifel. Alleine die Verbindung Crowdfunding und Internet haben derart viele kreative Kräfte freigesetzt, dass es kein Zurück und schon gar keinen Stillstand geben kann. Die Frage ist für mich nur: Wann wird das für uns erkennbar sein? Gibt es diese Spiele bereits? Findet diese Entwicklung in vielen kleinen Schritten statt, sodass wir bereits mitten drin stecken, ohne es zu begreifen und richtig einordnen zu können? Ist das, was die Houser-Brüder mit der GTA-Serie in Sachen Dramaturgie und Charakterisierung machen, so ein Innovator? Wie weit ist noch der Schritt von einem Nico Belic oder Trevor Philips zu einem Walter White?
Mir kam beim Lesen deiner Überlegungen Folgendes in den Kopf: Der Bösewicht ist der, gegen den man im finalen Showdown bestehen muss. Bis dahin wird uns immer wieder gezeigt, wie böse er wirklich ist, und dass er oft dem Protagonisten (uns) eine Nasenlänge voraus zu sein scheint.
So weit nix Neues. Wenn ich mir aber überlege, dass die meisten Spiele aber nur AN- aber seltenst DURCHgespielt werden, kommt es gar nicht erst zum finalen Kampf. Dann braucht man auch keinen Bösewicht. Man spielt ja eher gegen das Spiel als solches und für Errungenschaften aller Art (upgrades, perks, achievements etc.), statt gegen einen NPC Gegenspieler.
Da man ja sagt, dass diejenigen Comic Superhelden richtig interessant sind, die gerade den genialen Gegenpart haben, wäre das bei Spielen dringend auch mal angebracht.
ich finde nicht, dass das Medium Spiele gute Bösweichter eher verhindert. Hier könnte man doch kreativ tätig werden. So könnten z.B. Entscheidungen oder Misserfolge im Spiel dafür sorgen, dass der Bösewicht noch stärker wird (unrealistisch wegen Spielerfrust ich weiß) oder sich anders verhält.
Hier fand ich sehr interessant, wie „der Endgegner“ bei walking dead dem Spieler sein Spiel reflektiert. Sowas mag ich.
Weiß nicht, ob sich hier jetzt was zum 4p Forum gedoppelt hat, Hatte ich noch nicht verfolgt, schau ich aber mal nach.
Es gibt ein paar Unterschiede vom Spiel zum Film der es erschwert einen guten Bösewicht aufzubauen. Bei Filmen kann man beliebig von Szene- zu Szene wechseln und quasi allen Charakteren die entsprechende Zeit geben um sich zu entwickeln. Es ist kein Problem die Helden zu zeigen, dann wieder die Bösewichte usw. In Spielen ist der Held ja der Spieler, daher kriegt dieser im Normalfall 99% der verfügbaren Zeit zugestanden. Bösewichte werden meistens nur gezeigt wenn es zu einer direkten Konfrontation/Begegnung kommt. Daher ist die Zeit um diese Charaktere aufzubauen extrem begrenzt. Eher wird man mit den Folgen von Entscheidungen der „Gegenseite“ konfrontiert, aber nicht den Hergang oder die Motivation.
Daher kann ich mich auch eher nur an gute Begleiter oder Mitstreiter in Spielen erinnern. Weil diese ja meistens mit dir zusammen unterwegs sind, und dementsprechend auch aufgebaut werden können. Bösewichte sind mangels Zeit meistens nichts weiter als Klischees, oder sie definieren sich über gemeinsame Schlüsselszenen.
Was meistens auch fehlt ist die Reaktion der Gegenseite wenn du als Spieler etwas machst. In Filmen kann man dementsprechend die Szene wechseln und geschickt zeigen was für Auswirkungen dein tun hat. Ich habe zum Beispiel gestern wieder den ersten Rambo aus dem DVD-Regal gekramt und mir den Audiokommentar vom Buchautor gegeben. Da gibt es ja diese Szene wo die Polizisten durch den Wald schleichen um Rambo zu stellen. Und einer nach dem anderen tappt in Fallen, oder wird vom „Helden“ angegriffen. In einem Computerspiel würde man nur als Rambo durch die Büsche springen und per Tastendruck Fallen aufstellen. Du würdest nicht mitbekommen wie sich die andere Seite streitet, Angst hat oder der Sheriff versucht seine Autorität aufrechtzuhalten. Oder wie er nach der letzten Attacke weinend zusammenbricht, aber genau diese Szenen geben den Leuten die Tiefe. In einem Spiel wären das nur weitere 0815 Gegner, die es auszuschalten gilt. Und solange wir diese einseitige Schwarz/Weiß Welt haben wird sich auch an diesem Missstand nichts ändern. Höchstens Spiele würden mehr anfangen wie Filme öfters die Szene zu wechseln, das wäre aber mit mehr Inaktivität seitens des Spielers verbunden.
Wenn der „böse Redakteuronkel“ seine „gemeine“ Bewertung abgegeben hat, tauchen umgehend die Astroturfer der von Ubisoft beauftragten Werbe-Agentur auf, um diesen im Rahmen des sog. „Schadensbegrenzung“ niederzuschreiben. So typische PR-Eintagsfliegen wie diese
http://forum.4pforen.4players.de/viewtopic.php?f=62&t=369540#p4283916
erkennt man mit etwas Übung sofort. In dem schmutzigen Geschäft wird mit ganz harten Bandagen gekämpft. Wer nimmt denn bitte noch für voll, was in sog. „Internetforen“ steht? 😉 Da ist doch nur noch die Frage, wer nun eigentlich nicht gekauft ist.
Für mich persönlich ist das aber völlig egal, ich kaufe keine 30fps-Ruckelorgien für den PC. Das heißt nun, ich kaufe überhaupt nichts mehr von Ubisoft.
Zu deiner Frage: Kann man einen Charakter vielschichtig darstellen? Wieso versucht man nicht einfach das vielschichtigste zu nehmen was man zum arbeiten bekommt? Den Spieler selbst. Biete dem Spieler die möglichkeit sich durch ein Level durchzuballern, und halte ihm dannach den Spiegel vor. Sodass er die gleiche Szene nocheinmal machen will, aber anders. Das geht natürlich eher schwer mit zwischensequenzen, da muss man schon kreativ werden.
Die meisten Cops bei Rambo sind auch eher 08/15 Gegner, auch wenn sich der Bodycount dort noch angemessen zurückhält und die Dorfsheriffs zumindest auch eine ordentliche Sprechrolle haben. Damit meine ich nicht den Chef, der ist ausführlich und gut gezeichnet. Mehr Provinzarschloch als „böse“.
Aber die Diskussion ging ja eher in Richtung Hauptbösewicht. Auch wenn ich den im Spiel nicht ständig auftauchen sehen kann, so gibt es doch genügend Möglichkeiten, einen interessanten Gegenpol aufzubauen. Auf geschickte Weise geschieht das z.B. bei Bioshock. Aber es geht auch im Kleinen: So ist Deidranna mit ihrem tollpatschigen Helferlein bei Jagged Alliance doch ein echter Spaß als Gegenüber, obwohl es nur ein paar passend gesetzte Zwischensequenzen ohne viel Brumborium sind – man denke allein an die Ohrfeige für Nichtskönnerei!
Wenn ich Charakterentwicklung am PC will, spiele ich „Alter Ego“ auf einem C64-Emulator (oder mittlerweile auch auf iPhone/Android) 😉
Ansonsten ist Charakterentwicklung – von reinen Rollenspielen vielleicht mal abgesehen – auch nur bedingt das, wonach ich in Computerspielen suche. Deren Stärken liegen naturgemäß auf anderen Gebieten, was ich angesichts des riesigen Film- und Buchmarkts allerdings verschmerzbar finde. Zudem ist mir dabei Logik, Konsistenz und Glaubwürdigkeit (d.h. die Abwesenheit grober Fehler) erst mal wichtiger als Tiefgründigkeit.
Ich würde mir einfach generell Spiele wünschen, die (auch) einen erwachsenen Spieler ernst nehmen und nicht aus allen Poren ein übles Zielgruppe-U20-Aroma ausschwitzen, aber das wird wohl vermutlich auch in Zukunft eher die Ausnahme bleiben.
Ich denke das Problem liegt in der Natur der Sache. Ein guter Schauspieler kann mit seinem schauspielen ein schlechtes Drehbuch kompensieren, er liest die Rolle und interpretiert es soweit es der Regisseur zulässt, oder der Schauspieler ist so berühmt das er dem Regisseur Regieanweisungen gibt. Wenn man so sagen kann, hat der Schauspieler vielleicht 60-80% es selbst in der Hand was er draus macht und ob und wie es beim Publikum ankommt.
So eine Rolle in einem Videospiel darzustellen benötigt jedoch mehrere Aktivposten, z.B. Grafiker, Animationstechniker für Haare, Lippen etc.
Also die alte Formel, zu viele Köche verderben den Brei.
Und gefällt das Endprodukt auch den zwölf Producern, dem Projektleiter, dem Studiochef und der Marketingabteilung?
Hier treffen einfach zu viele „Künstler“ mit unterschiedlichen Vorstellungen aufeinander die es unter einen Hut zu bringen gilt.
Gute Schauspieler kennen wir alle, aber wer kennt denn schon den oder die Verantwortlichen der Nico Bellic, Geralt oder einen Videospielcharakter Eurer Wahl zum „Leben“ erweckt haben.
Kurz gesagt, bekannte Schauspieler sind um ein vielfaches „mächtiger“ als irgendwelche unterbezahlten Videospielprogrammierer für Charakterrollen, falls es so einen Job gibt.
Es gibt bestimmt noch 1000 weitere, andere, bessere, fundiertere Gründe, und man könnte sicherlich eine Doktorarbeit darüber schreiben warum das so ist.
Aber dazu habe ich zu wenig Ahnung und Zeit.
„Keine faszinierenden Charaktere“ ? Sieht aus, als wäre die Erfindung des Rollenspiels komplett am Redakteur vorbeigegangen.
Liebe Leute,
ich habe Insurgency auf Steam zu verschenken:
https://www.humblebundle.com/?gift=MMBdpMrEHCB3rXqA
Die ersten 3 sind dabei,,,
Viel Vergnügen!
Faszinierende Charaktere findet man z.B. in The Walking Dead 1 und 2, The Wolf Among Us, The Last of Us (insbesondere im DLC Left Behind – Das ist großes Kino!)
Interessant wäre es zu analysieren, warum es dort funktioniert und woanders scheinbar nicht.
The Last of Us kenne ich nicht, aber bei all den genannten Telltale-Spielen gibt es einen ganz wichtigen Punkt zu beachten: Das sind kaum noch Spiele, das sind bestenfalls dezent interaktive Filme. Telltale reduziert den Spieler zum passiven Beobachter und umschifft so die Herausforderung, vor der Designer stehen, wenn in einem aktiven Medium, in dem der Spieler Dreh- und Angelpunkt des ganzen Geschehens ist, Charaktere mit entsprechender Tiefe dargestellt werden sollen.
Man sollte aber auch bedenken, daß die Hintergrundgeschichte in Spielen im Gegensatz zu anderen Medien das Kunststück vollbringen muss, als Handlungsmotivator für viele Stunden Spielzeit zu dienen. Entsprechend plakativ ist häufig der dargestellte Konflikt, und meist ist es am einfachsten für die Entwickler einen überzeichneten Superschurken zu generieren, der als Initiator allen Übels dem Protagonisten die spielerischen „Hürden“ auferlegt. Es liegt auf der Hand, dass es dabei schwierig wird, einen wirklich glaubhaften Charakter zu entwickeln, da der Obermotz ja aufgrund des überlangen Spannungsbogens mit mehr und mehr aberwitzigen Teufeleien daherkommen muß, um dem Spieler jeweils neue „Missionen“ an die Hand zu geben… Gut gelöst wurden dieses generelle Problem in der Tat in „The Last of Us“, da man hier dem Spiel grundsätzlich einen Episodenstil gegeben hat und die Handlungsklammer durch die sich entwickelnde Beziehung der Protagonisten gegeben ist. Hauptantagonisten im Spiel werden zudem zunächst als kooperative Charaktere eingeführt, und recht spät als Antagonisten entwickelt, so daß man die Figuren erst „kennenlernen“ kann. Als interessantes Beispiel am Rande sollte man hier vielleicht auch „Shadow of Mordor“ mit seinem Nemesis-System nennen, das es durch mehrfaches zufälliges „Wiederbeleben“ bereits überwundener Minibosse immerhin schafft, so etwas wie Hassgegner zu generieren weiss, die dem Spieler längere Zeit in Erinnerung bleiben.
Charaktere? Minsc und Boo anyone?
Hat jemand MassEffect 1-3 (mit Spielstandübertragung) gespielt? Mordins Opfer, mit (wenn man ihn entsprechend oft besucht hat) Lied auf den Lippen wird sicher nicht nur mir mehr als eine kleine Träne ins Auge getrieben haben.
Oder „Prothy der Protheaner“, der mir als er mir davon so trocken erzählte einen Lachflash sondergleichen beschert hat. Und zig andere Momente der Serie, die wohl für immer im Gedächtnis bleiben… Wer beim Soundtrack bei „An end once and for all“ nicht sofort wieder traurig wird, werfe den ersten Stein.
Im Gegensatz zu Spielen, wie TombRaider oder Batman, die auch Spass gemacht haben, aber ich mich im Nachhinein nur daran erinnere, dass ich alle der x/127 Verstecke/Geheimisse finden wollte – aber keinen blassen Schimmer mehr von Story und Charakteren habe.
Zu ME:
Ich habe eine Theorie, dass die große „das Ende ist Mist“ Hysterie nicht wegen einem „schlechten“ Ende (Indoktrinationstheorie und Interpretationsspielraum sind extrem faszinierend für mich) existiert, sondern deshalb, weil nach 3 Teilen einfach alles zu Ende ist.
Alle liebgewonnenen Charaktere wird man nicht wiedersehen, kein allumfassendes Happy End (was ich gut finde) existiert und jeder sich im Augenblick des Abspanns bewusst ist, dass es jetzt vorbei ist.
Dass die Umsetzung des Abspanns nicht optimal ist, ist klar – die unterschiedlichen Enden hätte man auch mit größeren Unterschieden in der Endsequenz präsentieren müssen.
Das Ende / die Enden ist/sind nämlich bei näherer Betrachtung alles andere als schlecht, nur die Präsentation wird dem Epos nicht gerecht.