Erste Eindrücke – Joe Dever’s Lone Wolf HD Remastered

In der Zeit, als Klein-Harzzach weder einen Rechner oder eine Konsole, noch einen Home Computer aka Brotkasten besaß und die erste DSA-Gruppe sich wegen, ähem, zwischenmenschlicher Zwistigkeiten aufgelöst hatte, da waren die Spielebücher von Joe Dever, Ian Livingstone & Steve Jackson mehr als nur adäquater Ersatz. Mit einem Würfel, einem Blatt Papier, einem Bleistift und einem Radiergummi wurden die Weiten von Magnamund durchschritten und sich Seite für Seite durch diverse Höhlen und finstere Wälder gekämpft. Es wurde mit der Selbstbeherrschung gerungen, wenn man nach einer fatalen Fehlentscheidung versucht war den letzten Schritt zu annullieren.

Diese Spielebücher erfreuen sich seit ein paar Jahren wieder eines kleinen Revivals. In Deutschland hat der Mantikore-Verlag die Serie “Einsamer Wolf” von Joe Dever nicht nur neu aufgelegt, sondern komplett überarbeitet, neu übersetzt und Abenteuer, die damals nicht beim Goldmann Verlag erschienen sind, zum ersten Mal in deutscher Sprache veröffentlicht. Auch digital gibt es immer mehr Umsetzungen von populären Einzeltiteln. Und zwar nicht einfach nur als PDF- oder HTML-Dokument aus offizieller oder inoffizieller Quelle, sondern als richtiges, interaktives Spiel.

Vor einigen Tagen ist “Joe Dever’s Lone Wolf HD Remastered” unter anderem auch für den PC via Steam erschienen. Meines Wissens chronologisch nach dem Ende des letzten Bandes angesiedelt, erlebt der letzte der Kai-Lords hier ein neues Abenteuer.

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Das Spiel macht optisch einen sehr hochwertigen und opulenten Eindruck. Einzelne Seiten werden raschelnd umgeblättert, das UI ist stylisch und poliert. Immer wieder wird der Text mit Illustrationen bebildert. Für Kämpfe morpht die Graphik von einer Illustration fast nahtlos in eine hübsche 3D-Ansicht, wo es dann in einem Echtzeit-Kampf gilt spezielle Angriffstaktiken, Waffen, Items und Sonderfähigkeiten auszuwählen.

Die Soundeffekte sind passend und knackig und der Soundtrack selbst …

… lässt keine Wünsche unerfüllt. Rein produktionstechnisch ist das eine runde, saubere Sache.

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Ruckzuck ist man in der Geschichte drin und im Geiste sitze ich wieder an meinem kleinen Jugendschreibtisch und rieche das Papier. Eigentlich lässt das Spiel vor allem für Fans der Buch-Serie keine Wünsche offen. Eigentlich. Doch wie immer, liegt der Teufel auch hier im Detail.

Wie schon erwähnt, ist das Spiel unter anderem auch für den PC erschienen. Hauptplattform waren aber Android- und iOS-Pads. Zwar lässt sich das Spiel recht gut und eingängig mit Maus und Tastatur bedienen, doch gerade in den Echtzeitkämpfen stößt man schnell an die Grenzen von Maus und Tastatur. Zwar haben sich die Entwickler bei der Umsetzung viel Mühe gegeben, so dass man im Kampf fast alles über Keyboard-Shortcuts auslösen und steuern kann, dennoch tue ich mich vor allem anfänglich sehr schwer damit spezielle Aktionen innerhalb der Geschichte oder während eines Kampfes, die mit Hilfe einer QTE-ähnlichen Wischsteuerung über Erfolg und Misserfolg einer Aktion entscheiden, korrekt und vor allem rechtzeitig genug auszulösen. Auf einem Pad wischt man kurz mal eben mit dem Finger vorgebende Muster nach, mit der Maus geht das aber deutlich sperriger vonstatten. Ja, man gewöhnt sich mit der Zeit daran. Nein, es ist kein Game-Breaker. Aber es bleibt zumindest für mich ein unbefriedigendes Gefühl zurück. Wer sich das Spiel für den PC holen möchte, sei also vorgewarnt. Entweder man wartet einen Sale ab, schaut sich ein LP an oder man besorgt sich die Testversion, um selber ein Gefühl für die Steuerung in diesen Abschnitten zu bekommen, bevor auch nur ein Cent den Besitzer wechselt.

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In Sachen Gameplay orientiert man sich natürlich am Vorbild. Es gibt die altbekannten Fähigkeiten und Ausrüstungsgegenstände. Der Held kann während oder ausserhalb des Kampfes diverse Tränke einwerfen oder an sicheren Orten meditieren, um auf diese Weise Ausdauer und Gesundheit wiederherzustellen. Manche Verletzungen und Vergiftungen müssen speziell behandelt werden, will man nicht einem schmählichen Ende entgegen sehen, weil der Einsame Wolf zwar physisch alle Gegner an einem Ort besiegt hat, sich dann aber mit Schaum vor dem Mund der unvermeidbare Zusammenbruch überlebenswichtiger Zellmembranen ankündigt. Man sollte also auch immer darauf achten, welche Verletzungen man während eines Kampfes erlitten hat. Auch hilft es sehr, wenn man alle Kisten öffnen konnte und alle Verstecke gefunden hat, in denen sich oft enorm Nützliches und Wichtiges finden lässt. In dieser Hinsicht waren auch die Bücher bereits eine kleine Survival-Sim.

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Vom Schwierigkeitsgrad her würde ich das Spiel jetzt nicht unbedingt einem blutigen Anfänger in Sachen RPG in die Hand drücken. Auch wenn das Spiel in erster Linie für Pads entwickelt wurde, so hatte man als Zielgruppe nicht den berühmt-berüchtigten “Casual” im Sinn, sondern den EW-Fan, der schon die Bücher verschlungen hat, der bereits einige Erfahrungen im CRPG-Bereich hat. Man muss schon genau überlegen, wann man was wie tut. Blindes Vorwärtsstürmen ist nur selten eine gute Idee und sich Tränke einwerfen, als ob die Wildnis alle zehn Meter mit Getränkeautomaten gespickt ist, stellt auch nicht unbedingt eine kluge Vorgehensweise dar. Es empfiehlt sich die Texte in Ruhe durchzulesen, sich zu entsinnen, welche Fähigkeiten man gewählt hat und dann entsprechend durchdacht zu handeln. So hektisch die Echtzeit-Kämpfe sein können, umso geruhsamer, bzw. überlegter sollte man in der Geschichte selbst vorgehen. Und wer klug genug vorgeht und sich geschickt entscheidet, der kann manchen Kämpfen sogar aus dem Weg gehen oder sie deutlich einfacher machen. Auch hier folgt das Spiel klar der Buchvorlage. Die Kämpfe selbst sind oft genug recht fordernd, bis man den Dreh gegen bestimmte Gegnertypen heraus hat und manchmal ziemlich unfair, wenn es nur diese und wirklich nur diese Strategie gibt, um einen Gegner zu besiegen und man gut und gerne ein halbes Dutzend mal und mehr versucht diese Strategie herauszufinden.

Alles in allem … auf einem Pad bestimmt ganz große Klasse, auf dem PC leichte Abzüge in der B-Note wegen der Steuerung, auch wenn, ich kann es nur wiederholen, die Entwickler sich Mühe bei der Konversion gegeben haben und man sich daran gewöhnen kann.

PS: Die Überschneidungen von „Einsamer Wolf“ mit der Witcher-Serie sind übrigens frappierend. Die Entwickler dieses Spieles haben sich in Sachen Art Design und Gameplay-Mechanik  durchaus von der Arbeit CD Projekts inspieren lassen. Und ob Sapkowski zumindest unbewusst den letzten Kai-Lord im Sinne hatte, als Geralt in seinem Kopf Gestalt angenommen hat oder Dever und Sapkowski in dem Moment einfach nur Zugriff auf die gleichen morphogenetischen Felder genommen haben … man weiß es nicht 🙂

12 Kommentare zu „Erste Eindrücke – Joe Dever’s Lone Wolf HD Remastered

  1. Den Hexenmeister vom flammenden Berg hatte früher sogar unsere örtliche öffentliche Bücherhalle. Jahrelang waren die dann ziemlich vermieft, aber mittlerweile leihe ich sogar die aktuellen Walking Dead Staffeln auf DVD dort aus.
    Anyway, wir haben die Bücher verschlungen und als sie völlig durch waren, haben wir selber welche geschrieben. Da gab es Versionen, wo der Lösungsweg durchs Labyrinth war: links, zurück.
    Ja, gab kritische Diskussionen.

    Was mich aber interessieren würde: legt das Spielbuch einen einzigen safepoint an, der dann als Lesezeichen wieder überschrieben wird?

  2. Jepp, es gibt pro Partie einen Spielstand, wo der jeweils aktuelle Stand des Buchfortschritts gespeichert. Man kann das Spiel beim Neustart also direkt dort fortsetzen, wo man aufgehört hat.
    Man kann gleichzeitig drei verschiedene Partien am Laufen haben. Wer sich vor unliebsamen Überraschungen schützen will, sollte hin und wieder das Savegame manuell sichern.

  3. Da wird’s mir ja ganz nostalgisch. Die Bücher waren schon toll. Danke für den Hinweis (inclusive dezenter Warnung), viel Werbung scheint dafür ja nicht gemacht worden zu sein.

    „Wischsteuerung“ … habe ich zwei Mal lesen müssen. Klarer Fall von freudschem Fehleisprung. 😉

  4. Ja, das sind so Wörter, für die hasst uns das Ausland. Die können ja wir Muttersprachler nicht mal richtig ausprechen 🙂

    Kenne eine Dolmetscherin arabischer Herkunft, die selber Deutsch spricht, als ob sie hier geboren wäre, die aber die Unart hasst, nein, HASST!!! mit der im Deutschen mal so nonchalant neue Wörter entstehen, die man so vorher noch nie gesehen hat, die aber gültig und richtig sind. Dann noch die Unart, das Hauptverb, das, um was es eigentlich in der Aussage geht, ans Ende langer, sehr langer und mäandrierender Sätze, die eine Unmasse zusätzlicher, oft genug nicht mal zum Thema gehörende Informationen beinhaltend … zu stellen.

    Sie meinte, sie sei nur deswegen so gut in Deutsch, weil diese Sprache ihr vor allem beim Simultanübersetzen alles abverlangt 🙂

  5. Och, was ich zuerst gelesen hatte, bekäme vermutlich auch ein zockender, Deutsch sprechender Ausländer im Ragemodus noch hin… 😉

    Und sowas wie Donauschifffahrtskapitänskajütentürklingenputzerzeitarbeitsvermittlung kann man wohl auch als Muttersprachler nun wirklich nicht mehr schön finden. Das sind so Fälle, bei denen ich auch problemlos Deppenleerzeichen verzeihen kann, die fallen dann ja schon unter Notwehr.

  6. *seufz*
    Den Hexenmeister gab es damals bei uns in der Schulbibliothek…und dazu noch „Die Zitadelle des Zauberers“ sowie „Der Forst der Finsternis“…die Bücher waren der Renner bei uns 🙂
    Danke für die Erinnerung – ich denke, ich werde mir mal eins der Bücher besorgen und meiner Tochter näherbringen….

  7. Cool, „Einsamer Wolf“ für den DS! Nein, ich hatte seinerzeit nur die Neuauflagen von Mantikore kurz erwähnt und auch auf die HTML-Version der englischen Ausgaben verwiesen. Die DS-Spiele sind mir neu, danke! 🙂

    Das hier ist gewissermaßen eine produktionstechnisch massiv aufgemotzte Umsetzung mit Echtzeit-Kämpfen und einem neuen Abenteuer, das es meines Wissens nicht in Buchform gibt.

  8. Der Soundtrack ist auch nicht schlecht, danke dafür. Perfekte Hintergrundatmo (schon wieder so ein Wort) zur nächtlichen Grusellektüre.
    Oh, und ich hab auch noch eins: Feuerwehrrettungshubschraubernotlandeplatzaufseherin.

  9. Ich spiel LW auf meinem Android tablet. Man kann das Tablet drehen, wenn man im Lesemodus ist, so wie man ein Buch hält, und dreht es zurück ins Querformat bei den Echtzeitkämpfen. Ich kann nur empfehlen es auf einem Tablet zu spielen, schön aufm Sofa oder Inder Hängematte. Macht mehr Laune.

  10. Ich deute einfach mal ganz still und heimlich auf die noch fehlende Implementierung des Soundtracks in das Schallwellenarchiv (hier fängts schon an mit den Wortneuschöpfungen 😉 )

    Das Spiel an sich hört sich interessant an, aber ich stelle es mir auf die Dauer anstrengend vor von einem Bildschirm zu lesen – das muss ich ja schon den ganzen Tag über auf der Arbeit. Lohnt sich das Spiel tatsächlich so sehr, oder ist es eher unter „schöne Kindheitserinnerung“ zu verbuchen, die man heute besser stehen lässt? Also so etwas wie die Gänsehautbücher.

  11. Diese Spielebücher habe ich selber nie gespielt/gelesen, klingt aber super. Ob das was für einen 10jährigen ist? Fantasy liebt er schon und das könnte ein weiterer Schritt auf dem Weg zum P&P mit mir sein. 😉

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