Eigentlich sollten hier einige Worte über “A New Beginning” stehen, doch anstatt das Wochenende mit Zocken zu verbringen, wurde gebingewatched. Am Stück. Ohne nennenswerte Pause. Und auch ohne Anruf beim Lieferdienst, weil der Kühlschrank schon am Freitag gut gefüllt wurde. Hehe!
Schuld daran war “Daredevil”. Nein, nicht dieses, erm, Machwerk mit Ben Affleck *schauder*
Die TV-Serie “Daredevil”. Ganz frisch rausgekommen.
Lange Zeit waren Verfilmungen von Superhelden-Comics eher Miss als Hit. Zeichentrickserien wie auch LiveAction-Serien waren in der Regel an Kinder gerichtet, was mich vor allem bei “The Incredible Hulk” als Jugendlicher maßlos angekäst hatte. Das Produktionsniveau war nie besonders hoch, die Effekte billig, Story und Dialoge dem Zielpublikum angepasst. Dann kam man im Zuge des Erfolgs von Star Wars auf die Idee, doch all diese tollen neuen Effekte für einen Superheldenfilm zu verwenden und 1978 erblickte Richard Donners “Superman” das Licht der Welt. Und weil es nicht nur tolle Effekte, sondern auch tolles Setdesign und mit Marlon Brando und vor allem Gene Hackman auch tolle Schauspieler gab, konnte man diesen und den darauffolgenden zweiten Teil genussvoll anschauen. Danach folgte wieder viel, zu viel Miss statt Hit, weil zu viele Leute nur auf das schnelle Geld aus waren und Stoffe verfilmt haben, die sie weder verstanden noch ernst genommen haben.
Die Erfolge von Brian Singers X-Men- und Sam Raimis Spiderman-Verfilmungen waren auch keine Zufälle, sondern unter anderem Folge ihrer Qualität. Beide nahmen den Stoff ernst, beide achteten auf erstklassiges Casting. Doch was danach kam, war wieder bestenfalls Download-Qualität, aber nichts, wofür man gerne Geld ausgeben würde. Fade Dauer-Reboots und uninspiriert runtergenudelte Fortsetzungen. Sicher, die Studios haben damit Geld verdient, doch Marvel hatte eines Tages genug. Selber hat man vom Lizenzgeschäft nur wenig profitiert und Dank der schludrigen, arrogant-überheblichen Art, wie Hollywood mal wieder potentielle erstklassige Stoffe zu Tode fortsetzt, weil man vor lauter Gier nicht mehr tun möchte als nur unbedingt nötig, sah man sich gezwungen zu handeln.
Marvel suchte Investoren, fand Investoren und machte sich daran selber Superheldenfilme zu produzieren, anstatt den Stoff lediglich zu lizensieren. Marvel erschuf das filmische Gegenstück zum Shared Universe, um ihre Geschichten im Film genauso erzählen zu können, wie man es seit Jahrzehnten im Comic getan hat. Es enstand das Marvel Cinematic Universe, in dem Filme nicht mehr länger isoliert voneinander existieren, sondern eine gemeinsame Welt teilen und aufeinander Bezug nehmen. Endlich gab es deutlichst (!) mehr Hits als Misses und selbst der eher unfreiwillig komische Ant Man-Trailer macht mich mehr an, als die faden Blassgesichter, die man aktuell im Trailer zum erneuten Reboot *gähn* der “Fantastic Four” sehen kann. Fox kann es einfach nicht. Und dabei war das doch meine Lieblingscomicserie *schnüff*
Doch Marvel war es nicht genug mit Filmen und noch mehr Filmen. TV-Serien sollte es geben, denn Geschichten und Figuren gab es mehr genug. Die erste dieser Serien, Agents of SHIELD, wurde von keinem geringeren als Joss Whedon produziert und geschrieben und zeigte, dass man sogar gute Superhelden-Serien machen kann, in denen die Superhelden maximal nur am Rande vorkommen.
Die zweite der geplanten sieben (SIEBEN !!!) Serien, Agent Carter, begann Anfang des Jahres mit der Ausstrahlung und konnte viel Lob einheimsen. Nein, gesehen habe ich noch nichts davon, werde dies aber beizeiten nachholen.
Die dritte wurde Anfang diesen Monats veröffentlicht. “Daredevil”
Mehr als nur skeptisch habe ich letzte Woche in die erste Episode reingeschaut. Auch wenn’s jetzt über zehn Jahre her ist, der Schock von damals steckt immer noch in meinen Knochen. Und nach nur zehn Minuten wusste ich, dass ich das weiter anschauen werde. Die Serie funktioniert, weil die Figuren funktionieren. Die Figuren funktionieren, weil das Casting passende Gesichter und Ausstrahlungen gefunden hat. Und zwar nicht nur für den Maincast, sondern für nahezu jede verfickte Nebenfigur, die auch nur ein paar Minuten Bildschirmzeit hat.
Was funktioniert noch: Die Actionsequenzen.
Daredevil ist kein Superheld mit surrealen Fähigkeiten, er ist kein Gott, nicht einmal Halbgott. Er ist kein Milliardär, der mal so eben übers Spesenkonto sich neueste Waffentechnologie besorgt. Matt Murdock ist blind, hat dafür sehr sensitive Sinne bekommen. Ansonsten blutet er, wenn man ihn sticht und er bekommt blaue Flecken, wenn man ihn schlägt. Er ist zwar trainiert und versiert in diversen waffenlosen Kampftechniken und kann Schmerzen wegstecken wie ein Profiboxer, aber er zaubert keine magischen Moves aus der Luft. Er benutzt keine Gadgets. Die Kämpfe sind daher alle sehr bodenständig und realistisch. Keine Drähte, kein CGI, keine Ninja-Stunts. Was aber macht diese Kämpfe dann so anschauenswert? Ihre Präsentation. Ihre Intensität. Matt Murdock teilt aus und steckt ein. Es wird gegrunzt und gestöhnt und geächzt. Kein Wilhelmscream, kein 08/15-Pseudogeprügel. Gefilmt werden die Kämpfe in ausgefallenen Winkeln und Einstellungen. Besonders gefallen hat mir eine Szene, in der die Kamera fest moniert einen Gang entlang vor und zurückschwebt, den Blick immer auf die Tür am Ende des Ganges, während das Geschehen teilweise nur akustisch in den angrenzenden Räumen zu verfolgen ist und mit einer aufkrachenden Tür, meist gefolgt von einem Körper, wieder in den Blickwinkel der Kamera gerät. Das wirkt alles frisch und aufregend. Ja, ab und an werden Knochen detailliert gebrochen und das schmatzende Krachen, wenn ein Schädel eingeschlagen wird, ist schlimmer als der nicht gezeigte Anblick. Dennoch, die Brutalität der Kämpfe ist kein Selbstzweck, es geht hier nicht um billige Schockeffekte für Jugendliche. Intensität steht hier im Vordergrund. Matt Murdock gibt alles und seine Gegner sind alles andere als Dorfdisco-Rausschmeißer.
Was funktioniert noch: Das Setting.
Dieses New York ist schmutzig. Und billig. Abgenutzt. Müde. Es ist alt. Es ist kein gothisch-überdrehtes Gotham, wo jeder ArtDeco-Wasserspeier droht unachtsame Passanten aufzuspießen. Es ist kein besonders ungemütlicher Ort. Man kann es in diesem New York schon aushalten, so ist das ja nicht. Aber wenn man ehrlich zu sich selbst ist, möchte man doch lieber woanders wohnen, wenn es irgendwie möglich wäre. Besonders passend dabei sind die wenigen Farbtupfer in Form von grellen Neonwerbetafeln, in denen den New Yorkern ein neues, schöneres New York vorgestellt wird. Gebaut werden soll es auf den Trümmern der Schlacht gegen die Chitauri im ersten Avenger-Film. Alles wird gut. Und wenn Du das nicht willst, muss Du weichen. Ohne Wenn und Aber, ohne Gnade.
Was funktioniert noch: Der Soundtrack.
Ist sehr zurückhaltend, kein bombastisches Trara, wie man es aus den Filmen kennt. Der treibende Ambient-Track treibt auch den Puls des Zuschauers an, er unterstreicht die pulsierende, manische Atmosphäre einer Stadt, die nie schläft, die ewig wachsam ist.
Was funktioniert überraschend noch: Matt Murdock’s Religiosität.
Diese Figur ist durch und durch katholisch. Matt Murdock weiß eigentlich, was gut und böse ist. Seine Moralität ist klar definiert. Er geht beichten. Manchmal. Er weiß, dass sein Weg nicht gut ist, dass er böse Dinge tut. Er foltert. Er sündigt. Gewaltig. Er weiß, dass er die Welt nicht besser macht, wenn er diverse Gangster hochnimmt. Denn an ihrer Stelle treten andere. Denn wie sagt es einer so schön: “So lange jemand kauft (hier: Kinderhandel), verkaufen wir!”. Er macht es trotzdem. Das Foltern, das Jagen, das Hochnehmen. Noch kann er diesen Spagat zwischen Moral und Wirklichkeit rationalisieren. Man darf gespannt bleiben.
Alles in allem, ich bin entzückt. Besser, deutlich besser als ich in meinen bescheidenen Träumen jemals zu hoffen gewagt habe. Erstklassige, hochwertige und sehr gute TV-Unterhaltung. Ja, besser als die Filme. Die Filme sind nur harmloses Popcorn. Das hier packt Dich!
Daredevil. Auf Netflix und über jede gut ausgestattete Torrent-Seite.
Gut zu wissen, um Daredevil wurde ja viel Aufsehen gemacht, aber das sagt ja nun mal gar nichts über die Qualität aus.
Gotham und Flash habe ich noch keine Folgen von gesehen, aber besonders Flash sah in der Vorschau eher danach aus, als würde es sich extrem an jüngeres Publikum richten. Und Gotham wirkte mir in den wenigen Szenen, die ich bisher zu sehen bekam, irgendwie langweilig und dröge.
Aber der erste Eindruck kann natürlich auch täuschen. Z.B. fand ich Agents of Shield in den ersten Folgen ziemlich altbacken und uninspiriert. Joss Whedon Bonus sei dank hab ich dann trotzdem noch weitergeschaut und war im späteren Verlauf doch noch ganz angetan.
Wie ist denn eigentlich die Serie Arrow so? Lohnt es sich da mal einen Blick zu riskieren?
Gut, Geschmäcker sind verschieden, aber „Arrow“? Örks! Standard-Superhelden-Cash In. Nicht ausnehmend schlecht, aber für meinen Geschmack nur fade Dutzendware. So auf dem Niveau von Fantastic Four. Nichts besonders heftig falsch gemacht, aber auch nicht viel richtig gemacht.
Gotham finde ich nach Sichtung der ersten 10 Folgen überraschend gut. Unter anderem natürlich wegen Donal Logue und Benjamin McKenzie, den ich in Southland schon toll fand, hier aber leider nicht ganz seinen Qualitäten entsprechend gefordert wird.
Die Handlung um den jungen Bruce, der hier in den ersten Minuten wieder einmal seine Eltern verliert, kann ich auch nur gelungen finden. Das Sahnehäubchen ist Alfred, der hier oft ganz anders auftritt als man es erwarten würde. Natürlich ist er der weise Vormund und auf Etikette und seinen Berufsethos bedachte Butler, aber hin und wieder schimmert auch etwas ganz und gar Unbritisches durch.
Hin und wieder leistet sich die Serie natürlich einige unfreiwillig komische Entgleisungen in Dialogen und der Dramaturgie. Aber alles in allem ist das sehenswerter Stoff.
Daredevil hätte ich nun von vornherein abgelehnt, aber nun guck ich doch mal rein.
Agents of S.H.I.E.L.D mag ich allerdings überhaupt nicht ansehen.
Irgendwie haben amerikanische Superhelden in Europa traditionell einen schweren Stand (jedenfalls die mit den knallbunten Strampelanzügen). Das liegt wahrscheinlich (besonders hier in Deutschland) unter anderem daran dass viele von denen hauptberuflich böse Nazis verprügeln- sogar heute noch. Vielleicht sollte man es zur Abwechslung mal mit Schlangenzüchtern oder Sozialkundelehrern versuchen…
Ich bin jetzt zwar wahrhaftig kein Superhelden-Experte, aber allzu viele Nazis verprügelnde Helden fallen mir spontan nicht ein. Bei den derzeit großen ist das ja am ehesten Captain America und der verprügelt in den Filmen dann ja nicht einmal mehr Nazis, sondern Hydra-Agenten (aka Nazis in everything but name 😀 ). Meinetwegen könnten die sich aber auch alle mit Nazis kloppen … ich bekriege mich in Wolfenstein ja ebenfalls mit ihnen, ohne dass es mich stört.
Nee … ich glaube nicht, dass das Problem ist. Ich glaube aber auch nicht wirklich, dass der Stand heutzutage noch so richtig schwer ist. Die Comics verkaufen sich zwar wahrscheinlich auch weiterhin nicht sonderlich gut in Europa (aber die Verkaufszahlen in den USA waren meines Wissens auch schon einmal besser), die Filme sind hier jedoch ebenfalls ziemlich erfolgreich und beliebt.
Zu „Daredevil“: Meine Fresse ist das eine tolle Serie. Vielleicht liegt es ein wenig daran, dass ich aufgrund des Films ebenfalls nicht sonderlich viel erwartet habe, aber ich denke es hängt in erster Linie damit zusammen, dass das wirklich beeindrucken gut umgesetzt wurde. Die Skripts sind toll, die Darsteller sind toll und die Action ist richtig toll. Die Harzzach angesprochene Flurszene ist nicht nur ungewöhnlich gefilmt, sondern auch noch komplett ohne sichtbaren Schnitt. Das ist schon alleine rein handwerklich phänomenal. Dabei ist die Action nicht einmal der Schwerpunkt. Das alles funktioniert letzten Endes deshalb so gut, weil sich die Serie auch richtig Zeit nimmt sich mit den Figuren auseinander zu setzen. Tolles Ding und allein von der Tiefe beinahe allen bisherigen Superheldenfilmen überlegen.
Hat jemand einen Comic-Tipp zu „Daredevil“? Ich kenn‘ die Reihe noch von damals, als sie „Der Dämon“ hieß, schaute später immer mal wieder in ein paar Bände rein, fand aber das Niveau derart unterschiedlich (wie bei vielen Comics), dass ich keine Lust hatte zu suchen. Aber vielleicht kennt hier jemand ein Graphic-Novel-Must-Have zu Daredevil?
Ich habe es selbst nicht gelesen, aber im Zusammenhang mit der Serie wurde immer mal wieder „The man without Fear“ von Frank Miller erwähnt. Mehr weiß ich dazu jedoch auch nicht … nicht einmal, ob es eine deutsche Fassung gibt bzw. falls ja … wie diese heißt 😀
Dare Devil und Gotham sind die wenigen ausnahmen, die man sich im Moment noch geben kann. Ganz ehrlich, mich kotzt der ganze Marvel und DC kram nur noch an. Gefühlt jeder 2te Film aus Hollywood ist ne Superhelden oder Spielzeugverfilmung (Transformers).
Wenn man dann das produktion value der Teile sieht, kann man eigentlich nur den Kopf auf den Tisch hauen. Hunderte Millionen für einen Film, aber für ein gescheites Drehbuch, war in den meisten Fällen nix über. Effekte Wow…Story für Kinder, ach was nicht mal für Kinder eher für geistig nicht mehr ganz so Anwesende.
Ich persönlich bin umgestiegen auf Bücher und lass mich vornehmlich von meinem Kopfkino berieseln…
Deswegen war es ja eine richtige Entscheidung von Marvel, die Sache selber in die Hand zu nehmen und die volle kreative Kontrolle zu behalten. Von all den Serien und Filmen, die Marvel selbst produziert hat, ist bislang nur der erste Thor-Film ein dezenter Ausfall gewesen. Ant Man könnte der zweite sein. Dem gegenüber stehen jetzt drei Serien und acht Filme, die gehobenes Popocorn-Niveau erreichen und den Zuschauer nicht für komplett dumm verkaufen, so dass selbst alte Säcke wie ich mit Genuß ihren Spaß haben können.
Schaut man sich bei Sony und Fox um, so kann nur Fox mit einigen X-Men-Filmen an das Niveau der Marvel-Produktionen heranreichen.
Was die DC-Seite betrifft … da wird zwar auch viel Geld in die Produktion der Filme gesteckt, aber lediglich Christopher Nolan konnte mit seinen Batman-Filmen überzeugen. Der Rest … hübsch anzusehen, aber das Großhirn bitte vorher abschalten.
@eternalgamerde: Vielen Dank für den Tipp – wusste gar nit, dass sich Miller auch daran versucht hat. Kann ja nur gut sein…
@Chico: Obwohl ich mit Marvel und DC (Papierformat) aufgewachsen bin, geht’s mir, was die filmische Inflation angeht, ähnlich: Hab‘ auch kaum Lust, irgendwas davon anzuschauen. Selbst Nolans Batman konnte mich nicht auf ganzer Linie überzeugen, Die von Harzzach hier geteilte und von eternalgamerde bestärkte Daredevil-Begeisterung macht mich aber seeeeeehr neugierig.
@eternalgamerde : die Szene ist nicht nur ohne _sichtbaren_ Schnitt, die IST auch ohne Schnitt, wurde extra so gemacht 🙂