Der Wink mit dem Zaunpfahl – A New Beginning

Jan Müller-Michaelis ist für mich eine der begabtesten deutschen Game Designer. “Edna bricht aus” ist für mich eines der besten Adventures aller Zeiten, auf Augenhöhe mit den besten Titeln, die Lucas Arts und Sierra auf dem Höhepunkt des Golden Age of Adventure Gaming je veröffentlicht haben. Insofern war ich gespannt, wie sich sein Talent im Rahmen einer doch sehr viel ernsteren Story von “A New Beginning” im Vergleich zu Edna, Harvey oder Deponia niederschlägt.

Denn ernst ist die Ausgangslage in dieser Story. In einer nicht näher festgelegten Zukunft droht eine Sonneneruption alles Leben auf der Erde auszulöschen, weil durch weitestgehende Zerstörung der Ozonschicht dem Strahlenschauer nichts mehr im Wege steht. Um das zu verhindern, versucht man durch Zeitreisen in der Vergangenheit die großflächigen Umweltzerstörungen zu verhindern, die unter anderem das Verschwinden der Ozonschicht zur Folge hatten.

Ja, das ist ein Spiel für den Earth Day. Die Botschaft ist klar, sie ist eindeutig und im Grunde teile ich sie auch vollumfänglich. Wir haben derzeit nur diesen einen Planeten. Wir haben keinen Ersatz für ihn und ein Weißer Ritter in Form von Aliens, die uns freiwillig (oder unfreiwillig) ihre ÜL-Antriebstechnik zur Verfügung stellen, sind offiziell auch nirgendwo in Sicht. Dennoch verspüre ich jetzt das kaum stillbare Bedürfnis mir ein Auto mit fettem V8-Motor zu zulegen und damit jeden Tag mindestens drei Dutzend Mal durch die ganze Stadt zum Zigarettenholen zu fahren.

Mag sein, dass ich die falsche Zielgruppe für diese Botschaft bin. Mir braucht man nicht mehr zu erklären, warum Umweltschutz sinnvoll ist und dass unsere Zivilisation, unser Wirtschaftssystem einen kleinen Paradigmenwechsel nötig hat, Rohstoffe und Ressourcen nicht endlos zum willenlosen Verprassen und Konsumieren vorhanden sind. Von daher reagiere ich etwas allergisch auf die frohe Botschaft, weil sie versucht ihr Publikum mit dem Vorschlaghammer zu erreichen. Denn subtil ist nichts an der Botschaft in “A New Beginning”. Subtil ist im Kontext zur Story-Präsentation dieses Spieles ein Begriff aus einer fernen Galaxis, hart am Rande der so gerade noch wahrnehmbaren Beobachtungsgrenze. Alle paar Minuten bekomme ich eine verbale Ohrfeige verpasst, weil die Menschen ja so furchtbar unvernünftig sind und skrupellose Geschäftemacher und Politiker in einem Boot sitzen und die Menschen so träge und ignorant sind und überhaupt. Buhuuu, es ist ja alles sohooo schröhöcklich!

Besonders sauer stößt mir das auf, weil angesichts der Ausgangslage (fast alle Zeitreise-Teams sind gescheitert und eines sinnlosen Todes gestorben, der Erde droht das endgültige Ende) die Figuren in geschätzt 95% aller Dialoge so entspannt vor sich hin plappert, als seien sie gerade auf einer Klassenfahrt und müssen lediglich eine lustige Schnitzeljagd absolvieren. Dialoge und Sprachaufnahmen selbst haben mit dem düsteren Setting und der zentralen Story nur wenig zu tun. Nur um in den restlichen 5% dem Spieler mit aller Macht den Botschaftsvorschlaghammer in den Gehirnfrontallappen zu donnern, damit er ja nicht vergisst, wie chlimm das alles doch ist.

Seufz!

Abgesehen davon ist das Gameplay eine nette Sache. Das Adventure-Rad wird nicht neu erfunden (ist IMHO auch nicht nötig). Man sammelt Items, manipuliert und kombiniert diese untereinander und mit der Umgebung, man löst kleine Schalterrätsel a la Myst. Und wer keine Lust auf Myst hat, eher Anhänger des klassischen Lucas Arts-Gameplays ist, der betätigt den “Überspringen”-Button dieser Rätsel und lässt Myst Myst sein. Eine feine Idee, die endlich den Umstand würdigt, dass es zwei verschiedene Arten von Adventure-Fans gibt. Die Myst-Fans und die SCUMM-Fans. Man kann sich, wie es für neuere Adventure üblich ist, optional alle Hotspots einer Szene anzeigen lassen, doch weil sich das Pixel-Hunting angenehm in Grenzen hält und eine Szenerie für den aufmerksamen Beobachter genug Hinweise enthält, wo es eventuell etwas zu entdecken geben könnte, ist dieses Feature eigentlich nicht nötig.

Die Rätselqualität und das Rätseldesign an sich ist ordentlich. Es ist oft genug klar ersichtlich, was man zu tun hat, doch bis man herausgefunden hat, wie dieses Offensichtliche umzusetzen ist, sitzt man gerne einige Minuten da, probiert dieses und jenes und merkt dann, dass der vorhin im Spieldialog gegebene Hinweis zwar richtig interpretiert wurde, man aber die ganze Zeit über versucht hat die falschen Gegenstände zu verwenden, weil diese theoretisch im Kontext des Rätsel auch Sinn ergeben würden.

Optisch ist an “A New Beginning” nichts auszusetzen. Das ist die gewohnt hochwertige Animations- und Graphikkunst von Daedalic. Es gibt überall Schauwerte zu entdecken, Hintergründe und Settings sind abwechslungsreich und stimmig.

Der Soundtrack melancholiert bedeutungsschwer aus den Boxen und folgt damit konsequent dem Vorschlaghammeransatz der Story. Nur selten gelingt es eigene Akzente zu setzen, nicht ganz so platt, abgedroschen und kitschig zu klingen. Es ist nicht so, dass ich Gehörgangkrebs davon bekommen würde, aber es bleibt nichts im Gedächtnis hängen. Ich verspüre kein Bedürfnis mir den Soundtrack außerhalb des Spieles anzuhören.

Die GOG.com-Version enthält schon alles Bugfixes, so dass man von den teilweise herben Plotstoppern der Releaseversion verschont bleibt. Dennoch gibt es hier und da Animations- und kleine Darstellungsfehler. Nichts wirklich schlimmes, nur ein Ausdruck von mangelnder Politur.

Alles in allem ist das aber kein schlechtes Spiel. Das Gameplay stimmt (was die Hauptsache ist), noch vorhandene Bugs sind lediglich kosmetischer Natur und wenn man bei der Story-Präsentation und der mangelnden Regieführung bei den Sprachaufnahmen ein paar Augen zudrückt, dann kann man “A New Beginning” schon spielen. So ist das nicht. Es ist für mich nur kein besonderes Highlight im Daedalic-Angebot.

Als nächstes ist „Akalabeth – World of Doom“ dran. Wobei ich hier eher versuche herauszufinden, ob man das heute überhaupt noch spielen kann.

17 Kommentare zu „Der Wink mit dem Zaunpfahl – A New Beginning

  1. Als nächstes ist “Akalabeth – World of Doom” dran. Wobei ich hier eher versuche herauszufinden, ob man das heute überhaupt noch spielen kann.

    Von den ganz alten Sachen (Apple II, Atari, Amiga) bekombt man bei GOG unnötigerweise nur die miesen PC-Portierungen, obwohl es sowieso im Emulator läuft. Bei AWoD fällt sofort auf, daß es nicht einmal Unterstützung von Farbgrafik gibt. Würde ich nicht anfassen.

  2. Das ein oder andere Amigaspiel gibt es schon. http://www.gog.com/game/wings_classic

    Mir stellt sich allerdings die Frage, wie das rechtlich aussieht. Immerhin stehen die Kickstart Roms noch immer unter Copyright.

    Btt : Aus irgendeinem Grund bin ich mit keinem der Adventures von Daedalic so richtig warm geworden. Charles Cecil for the win.

  3. Das ist aber nicht dieses Adventure, bei dem man stirbt, wenn man den Raum verlässt, während das Fenster offen ist – weil man ja zum Fenster rausheizt? Ne, ich erinnere mich vage, dass das Erben der Erde hieß.

  4. Das dürfte eher „Das Erbe“ vom Bundesumweltministerium gewesen sein. In Erben der Erde spielt man einen Fuchs. Das war auch ganz nett, aber ein wenig zu kindgerecht für meinen Geschmack und sehr leicht und kurz.

  5. Ich bin ja sonst ein Fan von Daedalic, die sind recht nah dran an Lucas Arts in den 90ern. Das hier hab ich mir nicht zugelegt da ich auf diesen moralischen Vorschlaghammer allergisch reagiere. Wenn ich das so lese wohl zu Recht.

    Akalabeth macht, wenn man mal die Nostalgiebrille abnimmt, heute echt keinen Spass mehr. Ich habe mal Ultima 4 installiert, die unkomfortable Bedienung (z.B. manuelle Texteingabe bei Gesprächen mit NSC) plus 80er-Jahre Grafik und Sound lassen bei mir heute keinen Spielspass mehr aufkommen. Dungeon Master, Final Fantasy III, Eye of the Beholder….das macht mir alles heute noch viel Spass. Weil ein gewisses Maß an Bedienkomfort plus geniales Konzept vorhanden ist. Aber Akalabeth, Ultima 1-5 usw….nein, heute nicht mehr.

    Bin mal gespannt ob´s bei Dir anders wird.

  6. @Joe:

    Von den ganz alten Sachen (Apple II, Atari, Amiga) bekombt man bei GOG unnötigerweise nur die miesen PC-Portierungen, obwohl es sowieso im Emulator läuft. Bei AWoD fällt sofort auf, daß es nicht einmal Unterstützung von Farbgrafik gibt. Würde ich nicht anfassen.

    Es gibt bei GOG von Akabeleth die ganz alte Originalversion und die mit etwas Farbe und Sound aufgepimpte Version von 1998, die der Ultima Collection beilag.

    @Akabei:
    Daedalic macht schon tolle Sachen. The Whispered World steckt so voller schmerzvoll-süßer Melancholie, Edna ist die virtuell gewordene Version des 20er-Jahre-Dadaismus, Deponia ein derber Riesenspaß … nur hier hat man, zumindest für meinem Geschmack, den versuchten Spagat zwischen ernstem Thema und Unterhaltung nicht hinbekommen. Die seichte Unterhaltung ist zu belanglos und das ernste Thema zu grobklotzig verpackt.

  7. Offtopic:

    @Akabai

    Vielen, vielen Dank für den Link zur Amiga Version von Wings auf GOG. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, sowas dort zu suchen..

    Wird direkt gekauft.

  8. Wer nicht in den Genuss kam in den achziger Jahren die Schulbank zu drücken wird vielleicht (noch) nicht so sehr von der Umweltthematik erschlagen sein, da macht das Spiel mit seiner Aussage schon Sinn. Nach dem Aufstieg der Grünen ist die Sache vielleicht ein wenig verflacht, da muss man schon Sorge tragen dass auch die folgenden Generationen keinen Mist bauen 🙂

    Und Ultima 4 ? Habe ich als Teenager bis zur Vergasung gespielt. Aber ganz durchgespielt habe ich es damals nicht, deshalb wollte ich das vor kurzem nachholen, nur um festzustellen dass meine Nostalgiebrille nicht dick genug ist für sowas. Es gibt einfach zu viele schönere und bessere Spiele, da fällt es schwer sich noch mal für längere Zeit in die achziger zuückzuversetzen.

    Denn gerade den älteren unter uns ist klar: (Zock)zeit ist kostbar.

    Wink, wink.

  9. Also zum Thema „A New Beginning“ finde ich deine Ausführungen zum Umweltthema des Spiels etwas zu hart beurteilt. Natürlich kommt das immer wieder durch aber so war ja auch die Absicht des Spiels. Und diese Message in ein Spiel zu verpacken, was dazu noch ein tolles Adventure ergibt, fand ich recht gelungen.

    Was mich auch etwas störte war dieses weinerliche, sensible Mädchen als Protagonistin. Ich hätte mir hier einen etwas stärkeren Charakter gewünscht.

  10. Die dramatische Keule kann ja mal ganz spaßig sein, wenn das Konzept konsequent durchgezogen wird. Aber der Bruch zwischen Weltuntergangsstimmung und den lauen Sprechern („Huh, wir werden alle sterben, wenn wir nicht ganz schnell etwas unternehmen. Gehen wir einen Kaffee trinken!“) war auch für mich zu krass. Ist ja fast so schlimm wie bei Oblivion: Überall tun sich die Höllentore auf, aber Moment noch, ich muss erst meine 80 Nebenquests erfüllen.

  11. @ madmaetz: Das Remake kann sich ebenfalls sehen lassen. Als alter Wings-Veteran sollte man aber gleich mit dem härtesten Schwierigkeitsgrad beginnen.
    http://www.gog.com/game/wings_remastered

    @Zaza: Von Ultima IV ist kürzlich eine Remastered Version für den C64 erschienen. An der für heutige Verhältnisse sehr hakeligen Bedienung wurde nichts geändert, es wurde aber ordentlich aufgehübscht. Ich verlinke mal meinen Beitrag dazu bei 4players mit Vergleichsbild.
    http://forum.4pforen.4players.de/viewtopic.php?p=4419749&sid=4177c1196c68e6f14009a46e280047fc#p4419749

    @Harzzach: Ich habe (IIRC Dank eines Humble Weekly Bundles) etliche Daedalic Adventures gespielt. Harveys neue Augen dürfte die meiste Spielzeit gesehen haben, aber ich habe trotzdem nie so einen rechten Zugang zu den Spielen gefunden. Mit den audiovisuell eher im 16-Bit Stil verhafteten Spielen von Wadjet Eye Games wie z.B. Gemini Rue konnte ich viel mehr anfangen, aber das ist natürlich nur mein persönliches Empfinden.

  12. Stimmt schon dass der Umweltschutzfaktor überall präsent im Spiel ist und bei Leuten die sich eh schon im Klaren darüber sind eher nervig erscheint, mich hat es nicht so sehr gestört.
    Dennoch finde ich es richtig so etwas auch mal in einem Spiel zu thematisieren, selbst wenn es nur eine handvoll Leute positiv beeinflusst hat in der Hinsicht, war es die Sache schon wert.

  13. Da ich eine schöne buggy Version hatte, wo man in den letzten zwei Kapitel die Speicherfunktion schlicht und einfach nicht funktionierte, war ich bissel angebissen.

    Was schwerer wiegt, ist der Eindruck, daß Daedaelic nach zwei Dritteln des Spiels sich selber in eine Sackgasse geschrieben hatten und die letztliche Auflösung des Plots war wohl eher eine Notlösung. Die Protagonistin des Spiels ist auch etwas sehr naiv, unsympathisch und ihre Entscheidungen waren der Dramaturgie geschuldet.

  14. @taake:
    Ich sage ja auch gar nix gegen den Versuch ein Spiel mit mehr ernsthafteren Themen zu versehen, bzw. einem Spiel eine klare Botschaft mitzugeben. Es ist hier bei „A New Beginning“ nur etwas arg plump geraten. Da bekommen die Houser-Brüder ihre gesellschaftlichen Kommentare zur Lage der US-Nation in GTA sehr viel geschickter und perfider hin. Oder der seltene Glücksgriff, der dem Dev mit „Postal 2“ gelungen ist, wo hinter der derben Aufmachung eine bitterböse Satire steckt.

    „A New Beginning“ war meines Wissens drei Jahre lang in der Entwicklung und hat sogar 100k Fördergelder vom Staat bekommen. Vielleicht wäre es besser geworden, hätte man keine Fördergelder bekommen.

  15. A New Beginning empfand ich auch eher als eins der schlechteren Daedalic Adventures. Die unsympathischen Protagonisten trugen dazu nicht unwesentlich bei. Ich hab nur ca. die Hälfte aller bisher erschienenen Daedalic Adventures gespielt, generell gefielen mir die mit steigendem Produktionsaufwand aber immer weniger. Edna war noch super, Whispered World gut, A New Beginning zäh und Deponia richtig nervig. Teil drei werde ich mir davon wohl nicht mehr geben.

  16. @Jekhar Vielleicht solltest du mal eine Weile was ganz anderes machen. Adventures, egal wie gut gemacht, nutzen sich mit der Zeit ab.

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