Zwei-Klassen-Gesellschaft?

Entgegen früherer Ankündigungen habe ich doch irgendwann während der letzten fünf Jahre nachgegeben und mich näher mit “Ein Lied von Eis und Feuer” und der TV-Serie “Game of Thrones” beschäftigt. Nein, ich habe bislang keines der Bücher gelesen, nur hin und wieder ins Wiki der Buchvorlage geschaut und mich ansonsten nur auf die Serie beschränkt. Ich bin daher kein reiner TV-Zuschauer und natürlich auch kein altgedienter Leser.

Ich hänge so zwischen allen Stühlen (wo ich mich letztendlich immer am Wohlsten fühle) und habe somit einen guten Blick auf die Leser und Kenner der Buchvorlage, wie auch die Leute, die dieses Universum nur in der Form der TV-Serie kennen. Vor allem nach dem Staffelfinale von gestern Abend ist mir aufgefallen, was für z.T. enorme Unterschiede zwischen diesen Gruppen bestehen.

Nicht nur, dass den Lesern alle Ereignisse schon seit knapp zwanzig Jahren bekannt sind (“A Game of Thrones” erschien 1996), den Lesern steht auch wesentlich mehr Information zur Verfügung, bzw. hatten sie zwanzig Jahre Zeit sich entsprechendes historisches Hintergrundwissen anzueignen. Da wundert es niemanden, wenn die Unbefleckten in den Straßen von Meereen bei Überfällen der Söhne der Harpyie schwer in die Bredouille geraten und altgediente Veteranen vieler Schlachten im dichten Gemenge in den Gassen Opfer eines Dolchstoßes werden. Shit happens und wüstes Handgemenge in engen Gassen hat nichts mit einer “ordentlichen” Feldschlacht in disziplinierter Formation gemein. Leser wissen auch besser, warum in Königsmund die Truppen des Königs den religiösen Mob notgedrungen walten lassen (müssen). Die Leser reagieren auch ziemlich entspannt, wenn in einem Cliffhanger-Ende eine allseits geschätzte Figur ein fast schon cäsarianisches Ende erlebt.

Leser wissen, dass George R.R. Martin gerne Bücher und Kapitel mit solchen Cliffhangern enden lässt. Arya Stark und Tyrion Lannister schienen bereits ein besiegeltes Ende zu haben. Sie sind weiterhin Teil der Handlung. Ist der “Hund” tot? Das wissen wir nicht. Brienne lässt ihn blutend und schwer verletzt zurück. Er ist zäh. Er könnte noch leben. Denn für jeden faszinierenden Charakter, den Martin über die Klinge springen ließ, bleibt ein anderer am Leben. Die Leser wissen das und sie kennen auch jede Menge an Hinweisen, die Martin nicht ohne Grund in den Büchern platziert hat, wenn es um ganz bestimmte Figuren geht, deren offensichtliches Ende aktuell beweint und beschrien wird.

Die Zuschauer, oder Teile der Zuschauer befinden sich seit gestern Abend in Schock. NEIN!!! WARUM NUR? WARUM???? WIESO???? Twitter explodiert vor Entrüstung und Entsetzen, Fans drohen mit dem endgültigen Liebesentzug. Andere befürchten billige Handlungswendungen und Schockeffekte, wie sie in Comics üblich sind, wo auch kaum ein Superheld jemals wirklich tot bleibt.

Es ist spaßig. Es ist wirklich spaßig. Vor allem, wenn man weiß, dass die Leser schon seit einer ganzen Weile wissen, dass die Dinge nicht so offensichtlich sind, wie sie gestern dargestellt wurden. Leser spekulieren seit einer Weile sehr fundiert darüber was höchstwahrscheinlich passieren könnte. Den TV-Zuschauern hingegen fehlen elementare Informationen über bestimmte Figuren. Sie sehen nur Blut. Viel Blut. Und wieder einen Toten, den man nicht auf der Rechnung hatte. ARGHLLL! WARUM?????

Ist das gemein von den TV-Produzenten? Ja! Nein? Nein. Es steht jedem Zuschauer frei sich die Bücher zu besorgen. Da steht verdammt viel drin. Um Größenordnungen mehr als in der TV-Serie jemals erwähnt und gezeigt wurde. Details, die aufmerksamen (!) Lesern verraten, das die Dinge nicht so offensichtlich sein könnten, wie sie erscheinen.

Sicher, man kann darauf antworten, dass man keine Spoiler haben möchte. Was ich respektiere.

Und dass die Aufregung und Hysterie Teil des Sehvergnügens ist. Was ich ebenfalls respektiere. Und mir dann erlaube solche Leute zu beglückwünschen, scheint deren Leben doch so frei von Sorgen und Nöten, dass man sich künstlich über das Wohlergehen von Charakteren einer Geschichte echauffieren muss, weil das eigene Leben sonst zu langweilig ist.

Wie auch immer … es ist unterhaltsam. Das Meta-Geschehen um die TV-Serie “Game of Thrones” mittlerweile mehr als die eigentliche Handlung 🙂

19 Kommentare zu „Zwei-Klassen-Gesellschaft?

  1. Zwei-Klassen-Gesellschaft? nay… DREI…
    Seit Telltales ein Spiel zur Serie macht, gibts auch noch diesen, wenn auch sehr beschränken, Blickwinkel.

  2. Als Buchleser, der sich der Serie seit 2 Staffeln verweigert, bin ich schockiert über den Tod einer in meinen Augen sehr wichtigen Person. Weil Martin keine Skrupel kennt, Hauptfiguren über die Klinge springen zu lassen, wenn es der Verlauf der Handlung dient, kann ich den „Verlust“ verschmerzen. Was mich mehr ärgert: dass die Seriengucker weiter sind als die Buchleser. An den neuen Bänden arbeitet Martin bereits seit mehreren Jahren. In meinem Freundeskreis wird GoT übrigens nur deswegen geguckt, weil es alle anderen eben auch gucken. Tiefgründige Diskussionen braucht man nicht erwarten. Geht alles in die Richtung „Emilia Clarke ist heiß“, oder wie blutig eine Episode war.

  3. Ich würde mich nicht wundern, wenn Buch und Serie immer weiter auseinander driften und zum Abschluss nur noch Kernereignisse übereinstimmen. Womit ich kein Problem hätte. Solange die Ereignisse innerhalb des gesetzten Rahmens sinnig sind. Doch das wird man erst zum Abschluss der Serie wissen, von daher enthalte ich mich vorerst jeden Kommentars.

    Mein Vergnügen ziehe ich derzeit aus den schauspielerischen Leistungen nahezu der gesamten Riege und der Vertracktheit so mancher faszinierender Figur. So spielt Diana Rigg die Grand Dame der höfischen Intrige Olenna Tyrell mit solcher Lust am Frotzeln und Lästern, dass man fast schon Mitleid bekommen muss, wenn sie gegenüber dem Sparrow den Kürzeren zieht, der so gar nicht wie die Menschen ist, mit denen sie sonst zu tun hat.

    Und ich warte gespannt darauf, was es denn letztendlich mit den Jahreszeiten und den White Walkern auf sich hat.

    Ach ja, Bronn wird eh alle überleben … eine der wenigen Figuren, die den Kopf nicht voller Macht- und Gerechtigkeitsflausen hat, sondern geschickt durch die Unvorhersehbarkeiten des Lebens laviert. Bronn passt sich an und sucht immer den eigenen Nutzen. Hoher Überlebensfaktor 🙂

  4. @Christoph Brenner:
    „Geht alles in die Richtung “Emilia Clarke ist heiß”, oder wie blutig eine Episode war.“

    Die? Nervt seit Beginn und wenns nach mir ginge, wäre Sie die erste, die George ueber die Klinge springen lassen könnte, ohne dass es mich stören würde.

    Ansonsten – welche tiefgründigen Gespräche willst du über die Serie / Romane führen? Was steckt hinter den weißen Wanderern, was zum Teufel führt Melisandre im Schild?
    Das wars dann aber auch schon.

    Der Rest ist doch eher seichte Kost und mit klischeehaften Charakteren gefüllt, denen mehr oder weniger glaubwürdige Dinge mehr oder weniger spannend widerfahren.

    Die Serie ist gut umgesetzt, einige Storylinien wissen zu fesseln, das ist schon ok.
    Bleibt zu hoffen, dass sie das Pferd nicht ins Unendliche totreiten, das ist ja schon bei anderen Serien schief gegangen.

    Im Übrigen stört mich auch dieses „Wir brauchen Brüste“ – deshalb saugen wir uns eine Szene dazu aus den Fingern, in der wir welche zeigen können. (Bronn im Gefängnis…)
    Und da, wo sie wirklich drin wären und nicht zum Selbstzweck dienen müssten, hält Miss Clarke sich die Decke drüber. (Bettszene mit Besprechung des weiteren Vorgehens)

    Gruß
    Eno

  5. @Christof B.
    Warum sind die Seriengucker weiter als die Leser? Laut meinem Kenntniss stand sind jetzt alle gleich auf. Gut ist ein bissi her, dass ich die bisher erschienen Bücher gelesen hab (Martin kommt ja nich mehr zu Potte), aber ich hab jetzt nix in der Serie gesehn, was deine Annahme stützt, lasse mich da aber auch gern vom Gegenteil überzeugen.

    @Sir Richfield
    Hier Bub nur für die SPOILER ALERT!!!

    Der Schauspieler, dessen besagter Charakter letzten Sonntag vermeintlich den Tod gefunden hat, hat schon für weitere Staffeln unterschrieben. Wäre auch blöd, den Helden der Serie, um dessen Herkunft, durch die ganzen Bücher und die Serie immer wieder zaghafte Hinweise schnipselhaft gegeben werden, plötzlich stirbt.

  6. Laut einem Bekanntem von mir hat der Autor das nächste Buch noch garnicht publiziert. Wenn das stimmt, dann kann man jetzt auch nur raten, wie die anderen TV Zuschauer. 🙂

  7. @Enrico:
    Das hat mich auch sehr gestört, künstliche Sex-/Splatter-Szenen reinzubringen und dafür Buchszenen wegzulassen oder drastisch zu kürzen, die für das Verständnis der Geschichte wichtig sind.

    Actioning up, dumbing down.

  8. @Polo Crash:
    – Tarnung
    – Rückblicke
    – Major Asspull
    Such dir was aus. 😉

    Im Ernst, ich bin da recht leidenschaftlos. Am Ende der zweiten Staffel habe ich mir als Mantra ins Hirn geprügelt: „Gewöhne dich an niemanden!!“.
    Das funzt bis jetzt, wenn jetzt jemand verreckt, dann denke ich mir „Schade um die scheinbar aufgebaute Story, aber dann gibt’s halt ’ne andere.“
    Mal gucken wann es mir auf den Keks geht, dass alle Beteiligten mit einer solchen Gewalt gegen vorhersehbare Serien/Filmklischees vorgehen, dass es wieder vorhersahbar wird. 😉

  9. Enrico:
    Guck dir mal Videos von Preston Jacobs an und lies dir ein paar Fantheorien durch. Es gibt extrem viele Details vor allem in den letzten beiden – zugegegeben recht langsamen und expositionsfokussierten – Büchern, die einzelne Geschichtsstränge extrem interessant machen.
    Ein paar nette Schmankerl aus der Leserecke sind da z.B. die „Grand Northern Conspiracy“, „Aegon is a Blackfyre“ und Ähnliches.

    Und ja, das „gute“ alter HBO Prinzip „Brüste > Details“ geht mir auch ziemlich auf den Sack. Der Fokus der Serienschreiber scheint stark auf Schockmomenten zu liegen, dabei vergessen sie jedoch das ein guter Twist mit einem gewissen Aufbau einhergeht….

  10. Danke für den Hinweis @Hurr.
    Werde mich am WE mal hinsetzen, um meiner oberflächlichen Sichtweise auf die Reihe vielleicht etwas Tiefe zu verleihen.

    Gut zu wissen, dass ich nicht der einzige bin, dem das auffällt.
    Wo ich in den frühen Staffeln noch den Eindruck hatte, dass es passt und zur Athmosphäre beiträgt, habe ich mittlerweile eher das Gefühl, dass die Szenen irgendwie auf Krampf reingeschrieben werden, um nackte Haut zu zeigen. 😦

  11. Ich schaue mir gerade wieder die ersten beiden Staffeln von GoT an. Vor allem massiv nackte Haut. Ausgedehnte Bordellszenen, wo Littlefinger seine Damen einweist. Für die Handlung und den Plot unnötig wie Kropf, wird aber in aller Ausführlichkeit zelebriert. Ebenso muss natürlich viel nackte Haut gezeigt werden, als Jeoffry seinen Frust an einer Hure ablassen muss, obwohl dem Zuschauer längst klar ist (durch die Art, wie er mit Sansa, dem betrunkenen Ritter und dem Gaukler umspringt), dass er ein sadistisches Arschloch ist.

    Schaut es Euch bitte nochmal an … ihr täuscht Euch! 🙂

    Es wurde von Season zu Season nämlich immer weniger nackte Haut gezeigt, immer weniger Gewalt um der Gewalt Willen gezeigt. Bezeichnend ist hier auch die Art, wie auf die Szene von Sansas Hochzeitsnacht mit Ramsay reagiert wurde. Als Kal Drogo Daeny genommen hat wie ein Stück Vieh, geschah die Vergewaltigung schön romantisch vor Sonnenuntergang und es waren zwei schöne Menschen zu sehen. Ramsay ist ein häßliches Ferkel, Sansa das graue Mäuschen und man sieht ÜBERHAUPT GAR NICHTS, man hört nur … und deswegen wirkt ihre Vergewaltigung auch so derart drastisch. Weil da endlich keine romantische Verklärung stattfindet.

  12. Die Vergewaltigungsszene mit Ramsay ist für mich nicht so problematisch im cineastischen oder situativen Sinne, sondern eher dadurch das sie nur zustandekommen kann weil die Serienmacher hier auf Biegen und Brechen diverse Charakterstränge vermischen die eigentlich getrennt gehören (Sansa Poole ist zwar aus logistischer Sicht der Serie schlüssig, die Plotsprünge die dabei aber gemacht wurden sind fatal). Überhaupt sind viele Charaktere blutleere Karikaturen ihrer Bücherpendants: Dany, Stannis, ganz Dorne, Loras, Brienne, sogar Tyrion und Cersei zum Teil.

    Und die ausgedehnten Sexszenen in den ersten Staffeln haben mich ebenfalls sehr gestört („Hey, lasst uns diesen interessanten Charakter, dessen Homosexualität nur einen Teil seiner Persönlichkeit ausmacht, in einen permageilen Lustmolch verwandeln, der ansonsten keinerlei Charakter besitzt! Fanservice for the ladies!“), allerdings war zumidnestens dort die Werkstreue relativ stark und die hinzugefügten Szenen ergaben meistens Sinn. Zwar gibt es auch in späteren Staffeln Höhepunkte (Stannis Gespräch mit Shireen in Episode 4 der fünften Staffel, die Charakterisierung Thornes über weite Strecken der letzten Staffel, die Szene zwischen Jorah und Tyrion über ihre Väter) aber jetzt wo D&D die Kinderstützen vom ASOIAFahrrad weggenommen wurden agieren sie sehr seltsam. Naja, spätestens in Staffel 6 werden sie das Ding dann vollständig an die Wand fahren und nebenbei die ganzen schönen plottwists aus Winds of Winter vorwegnehmen. Hoffentlich hält sich George an sein selbstgestecktes Ziel den sechsten Band vor diesem Moment abzuliefern…

  13. Season 6 ensteht nicht aus dem Nichts heraus, sondern folgt dem, was Martin den Produzenten an zentralen Plotpoints vorgibt. Buch und TV-Serie werden hier nicht stärker auseinander driften, als es eh schon die ganze Zeit geschehen ist. Ich kann dieses Doom & Gloom hier wirklich nicht nachvollziehen.

  14. Bezeichnend ist hier auch die Art, wie auf die Szene von Sansas* Hochzeitsnacht mit Ramsay reagiert wurde.

    *Jeyne Poole

    George R. R. Martin hat übrigens auch ein gutes Buch geschrieben, das nach 337 Seiten zu Ende ist: The Dying of the Light, dt. Die Flamme erlischt

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