Weil es mir zu mühselig ist meinen wohlgeformten Prachtkörper ins Fitness-Studio zu schleifen, habe ich mich selbst zu Weihnachten mit einem Tablet beschenkt, weil ich im Bett Netflix anschauen wollte, ohne dafür extra aufstehen und Hosen anziehen zu müssen. Immerhin ernähre ich mich gesund und ausgewogen und rauche nicht. Man sollte die Dinge nicht übertreiben, schließlich könnte man in der Dusche ausrutschen oder plötzlich vom Auto überfahren werden …
Mit dem Gedanken an den Erwerb eines solchen Gadgets bin ich schon eine ganze Weile schwanger, konnte mich bislang aber erfolgreich nicht selbst in Versuchung führen. Weil, eigentlich brauche ich keines. Die Ausrede mit dem Netflix bingen im Bett ist genau das, eine Ausrede. Es wäre ein reiner Luxuskauf. Konsum um des Konsums Willen. Nichtsdestotrotz geschah es Ende November, wie es geschehen sollte. Der Cyber Monday, eine Erfindung von Marketing-Leuten in den USA, um dem eh schon gebeutelten Bürger noch mehr Geld aus der Tasche ziehen, hat natürlich auch hier Einzug gehalten. Es geht schließlich um viel Geld, da darf man nicht zurückstehen. Sprich, auch auf den deutschsprachigen Seiten fackelt Amazon in dieser Woche eines jeden Herbstes ein KAUF-MICH-Feuerwerk sondergleichen ab.
Und so kam es, dass Herr Harzzach Seniorgamer beim Löschen der Spam-Mails, die Amazon in diesen Tagen ohne Pause in sein Mail-Postfach schickte, nicht schnell genug mit dem Löschen nachkam und nicht verhindern konnte, dass sein Blick auf den Inhalt einer dieser Mails fiel. Amazon bewarb hier das neue Fire HD 10 Tablet. Mit einem saftigen Preisnachlass. Der so kräftig ausfiel, dass ich … auf den Link in der Mail klicken musste. Tatsächlich, spottbillig. Statt ca. 200 Euro nur etwa 130 Euro. Und erträgt man Werbung auf dem Sperrbildschirm, nochmals um 15 Euro günstiger. Und als Prime-Mitglied nochmals ein paar Prozent ab. So dass ich für ein niegelnagelneues Tablet mit sehr guten Leistungsdaten und einem großen 10-Zoll-Display nur knapp über 100 Euro ablatzen müsste. Nun, ich hatte jahrelang einen Kindle-Reader, gute und solide verarbeitete Hardware, kein billiger Plastikscheiß. Auch bei den Tablets, so hörte ich, hat Amazon auf Qualität Wert gelegt. Ok, ich ziehe jetzt mein Weihnachtsgeschenk vor, sagte ich mir und zog es dann vor.
Fünf Wochen später kann ich ein erstes Fazit ziehen.
Das Essentielle:
- Wie gehört und vermutet, das ist ein feines Stück Hartware (Leistungsdaten im Link).
- Mit einem halben Kilo relativ schwer, aber ein leistungsfähiger Akku ist nun mal kein Fliegengewicht.
- Sehr gut verarbeitet, saubere Druckpunkte an der manuellen Lautstärkeregelung und dem On/Off-Schalter. Mir ist sowas wichtig.
- Tontechnisch kann das Tablet natürlich nicht mit ausgewachsenen Boxen, Hochtönern und Subwoofern mithalten, aber dafür, dass als Klangerzeuger nur seitlich rechts zwei Schlitze im Gehäuse zu sehen sind, klingt das alles deutlich weniger blechern als befürchtet. Nicht schlecht!
- Die Netflix-App spielt Netflix-Inhalte ohne Qualitätseinbußen ab. Amazon ist hier schlau genug, der Konkurrenz das Leben nicht schwer zu machen. Die Leute sollen Fire-Tablets GERNE bedienen. Weil nämlich … aber dazu später.
- Mit Calibre in die Amazon-Formate konvertierte und übertragene EPUB-Bücher lassen sich sehr gut lesen. Das HD 10-Display kann mit der Lesequalität eines E Ink-Displays natürlich nicht mithalten, aber Amazon hat der “offiziellen” Leseanwendung eine ganze Reihe von Optionen mitgegeben, um die Textanzeige so angenehm wie möglich zu gestalten. Apps, die auch das EPUB-Format lesen können, habe ich gar nicht ausprobiert, weil ich meine elektrische Bibliothek eh mit Calibre organisiert habe und Konvertierung und Datenübertragung mit einem einzigen Arbeitsvorgang angestoßen und erledigt sind, ohne dass ich großartig rumklicken und Dateien verschieben muss.
- Die große Stärke des Displays liegt eher in der Darstellung von Comics. Für das CBR-Format gibt es einige Apps zur Auswahl, man wird schnell fündig. Hier lümmelt man wirklich gerne im Bett und liest erbauliche Bildgeschichten.
- Eigene Mukke lässt sich in vielen Formaten übertragen und mit der “offiziellen” Musik-App anhören. Falls der interne Speicher (meine Version hat 32 GB) nicht reicht, kann man immer noch bis zu 256 GB via microSD-Karte anflanschen.
- Die Akkulaufzeit ist ganz ordentlich. 10-12 Stunden, wenn ich nur lese und Mukke höre und wenig surfe. 8-10 Stunden, wenn ich viel surfe und intensiv Videos streame/abspiele. Ist somit auch für längere Reisen tauglich.
- Kinderleichte Einrichtung. Gerät ausgepackt, eingeschaltet, WLAN suchen lassen, Verbindungsdaten eintragen, fettisch.
Das Nebensächliche:
- Alexa. Das Fire HD 10 kommt mit Alexa, dem Sprachassistenzfeature von Amazon. Nach ein paar Tagen war der Gag aber ausgelutscht und ich habe dieses Feature deaktiviert. Für mich ist das nur ein Gimmick und nichts, wo ich mich fragen würde, wie ich all die Jahre ohne es existieren konnte. Gut, falls eines Tages per Update noch “Computer” als Aktivierungswort hinzugefügt würde, würde ich mich noch einen weiteren Tag meinem inneren Trekkie hingeben, aber selbst das würde dieses Feature nicht essentieller machen.
- Spiele. Ich spiele damit nicht. Keine aktive Verweigerung, sondern einfach kein Interesse. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, hatte ich mir irgend eines dieser fünfunddrölfzig Millionen Match-Three-Spiele und “Final Fantasy Brave Exvius” heruntergeladen. I was not very amused! Wenn ich daran denke, dass mein Nintendo DS seit Jahren nicht mehr angerührt wurde, sollte mich das nicht überraschen.
- All der Gruscht im App-Store. Dass der FireOS-Store nicht den Umfang der iOS- und Android-Konkurrenz hat, stört mich wenig bis überhaupt nicht. Meine Essentials sind verfügbar und erfüllen ihren Zweck. Reicht.
- Die angezeigte Werbung auf dem Sperrbildschirm stört nicht. Wirklich nicht. Ich nehme sie gar nicht mehr mehr wahr und als Schwabe väterlicherseits lasse ich mir natürlich keine Gutschrift entgehen.
- Die Kamera soll nicht so dolle sein. Mag sein, ich nehme mit dem Tablet normalerweise auch keine Bilder oder Filme auf. Kein Feature, welches ich unbedingt benötigen würde.
Zubehör:
- Die “offizielle” Hülle ist mit knapp 30 Euro ein wenig happig bepreist, aber es gibt auch günstigere Alternativen. Selbst habe ich noch keine Hülle, weil ich das Tablet nur im Hause einsetzen möchte und nicht unterwegs mitnehme. Alleine schon die Größe macht es für das manchmal beengte Commuten in der Straßenbahn nicht so geeignet. Da ist ein kleiner Reader einfach besser. Eventuell später, wenn ich mehr längere Bahnstrecken fahre und im geräumigeren Abteil sitze.
- Auch habe ich keine sog. Panzerfolie geordert, mit der man zusätzlich das Display gegen Kratzer schonen kann. Es wird mir zwar im privaten Umfeld empfohlen, aber da ich zu den Menschen gehöre, die in der Regel pfleglich mit ihrem Krimskrams umgehen, spare ich mich das vorerst auch.
- Auch wenn ich “nur” die kleinere 32GB-Variante habe, so verspüre ich derzeit noch keinen Platzmangel. Ich benutze das Tablet nur im Haus und muss nicht ganze TV-Seasons offline ablegen. Wenn aber doch, microSD-Karten gibt es in vielen Größen und Ausführungen.
Das Ärgerliche:
- Dass Amazon seine Hardware subventioniert, um die Käufer leichter zum Kauf von Inhalten über Amazon zu bewegen, ist ja keine neue Erkenntnis. Dass die Gerätenummer des ausgelieferten Tablets automatisch dem Amazon-Konto zugeordnet wird, über das es erstanden wurde, ist auch kein Geheimnis. Dass Amazon aber standardmäßig die 1-Click-Bestellung auf dem Tablet aktiviert hat, ohne den Kunden explizit darauf hinzuweisen, ist schon etwas, hmmm, schmierig.
Denn am Weihnachtsabend, da saß ich bei den Eltern und surfte entspannt durch das Prime-Video-Angebot. Dabei stoße ich auf “Valerian”, die diesjährige Comic-Verfilmung von Luc Besson. Ich habe ihn noch nicht gesehen, will dies aber nachholen. Der Film ist nicht in Prime enthalten, ich müsste extra Geld abdrücken, um den Film für 48h “auszuleihen” oder zu kaufen. Es ist Amazon, also tippe ich in alter Gewohnheit auf den Bestellbutton, um dann später im Warenkorb letztendlich zu entscheiden, für was ich jetzt Geld ausgebe, was für später vermerkt werden soll. Das ist aber kein “Bestellbutton” gewesen, sondern ein Jetztdirektkauf-Button.
“Vielen Dank für ihren Einkauf! Der Film steht Ihnen jetzt in Ihrer Bibliothek zur Verfügung.”
WAS? WIE BITTE?
1-Click. Patentiert. Hurra! Schwupps, hat man Geld ausgegeben, ohne nochmals explizit gefragt zu werden, ob man das wirklich will. Geile Sache, das! Ich habe danach sofort in meiner Kontoeinstellung 1-Click für alle Geräte und Browser deaktiviert, habe aber derzeit keine Lust, die Sache nochmals zu testen. Ich muss daher aufpassen, wo ich meine Wurstfinger auf dem Display hinsetze. Wenigstens war der Film die Augenweide und Pracht, die ich erwartet hatte. Also kein Geld in den Sand gesetzt. Dennoch, ich möchte gerne gefragt werden … grmbl!!!
Das Fazit:
Trotz der 1-Click-Ärgerlichkeit, der man aber durch einen Tacken mehr an Konzentration aus dem Weg gehen kann, bereue ich diesen “Luxus”-Kauf nicht. Das Gerät selbst ist ein solides Stück Technik, kein Schrunz. Die Bild- und Tonqualität ist zum Film anschauen überraschend gut, vor allem für den Preis! Bücher und Comics lesen geht schnell und unkompliziert, auch wenn ich für Texte weiterhin meinen Tolino-Reader mit dem E Ink-Display bevorzuge. Mit Sicherheit sind die Tablet-Flaggschiffe von Apple oder Samsung in Sachen Display, App-Auswahl und vor allem Kamera besser, aber dafür kosten die Teile auch ab 500 Euro aufwärts. So etwas brauche ich nicht. Ich will doch nur faul im Bett liegen und ohne Augenkrebs Netflix bingen. Und dafür taugt dieses Einsteiger-Tablet mehr als genug.
Ich habe immer noch mein 15″-FullHD-Notebook im Bett wie schon zehn Jahren. Das streamt auch richtige PC-Spiele vom Desktop, falls nötig. Sogar dann, wenn es mal unter Linux läuft.
Nachdem Telefone mittlerweile auf 6 inch gewachsen sind, brache ich eigentlich auch kein Tablet mehr. Ich hatte mal ein 10″-Netbook kurz vor dem iPad-Hype und das war je nach Anwendung entweder zu klein oder zu groß und unhandlich (außerdem viel zu langsam und zu teuer, ein klarer Fehlkauf).
Es ist immer wieder erstaunlich, dass Du offensichtlich dieselben Ideen zur ungefähr selben Zeit wie ich hast 😉
Mit denselben Intentionen wie Du habe ich im Herbst einen Papierprospekt (!) der Firma Euronics nicht mehr aus der Hand legen können, in welchem das aktuellste 10″ Samsung Tab A mit ungefähr denselben FHD-Bildschirmeigenschaften wie das Fire 10″ 2017 beworben wurde. Zwar nicht nur ~100 €, aber mit 180,- € inkl. des originalen Bookcovers (damals einzeln ~40 €) und Android 7 selbst heute noch ein guter Preis.
Tja, was soll ich sagen? Vielleicht das ich nie gedacht hätte, wie sehr das Ding meinen Desktop-PC selbst bei solchen Sachen wie dem Schreiben kurzer Texte per Handschrifterkennung/Swype oder dem Zocken von Emulatoren (16bit, Amiga, ScummVM, selbst PSone) „übernommen“ hat. Das Schauen von Netflix oder vom Medienserver via DLNA ist natürlich auch Zucker. Das man bei modernen Fernsehgeräten meist WiFi direkt und Miracast/Smartview nutzen kann, macht die Sache im Einsatz bei Freunden oder im Garten noch einfacher.
Fazit: Der bisher beste Kauf eines „eigentlich nicht notwendigen technischen Gerätes“.
P.S.: Du kannst den Google Playstore auch auf dem Fire HD nachinstallieren und damit quasi das gesamte Android-Universum nutzen. Weißt Du aber bestimmt schon.
P.P.S.: Womit hab‘ ich wohl diesen Beitrag verfasst 😉
„Weißt Du aber bestimmt schon.“
Nö. Danke für den Hinweis 🙂
…
P.P.P.S.: Man stelle sich meinen Gesichtsausdruck vor als ich vor wenigen Wochen zufällig herausfand, dass der von mir gezahlte Preis (siehe oben) EXAKT dem UVP einer originalen Anbissobsttastatur für das aktuelle IPad Pro 10.5 entspricht.
„Siri, warum ist eine offene Betriebssystemarchitektur die deutlich nutzerfreundlichere Variante gegenüber einer Geschlossenen?“
*grillenzirpendestille*
Oh, schön wenn ich helfen konnte! Siehe z.B. hier:
https://www.netzwelt.de/tutorial/155252-amazon-so-installiert-google-play-store-fire-hd-tablets.html
Kleine Tipps:
1) ‚Valerian‘ hätte der Amazon-Support auch rückerstattet, sofern man den Film noch nicht zu streamen begonnen hat.
2) Man _kann_ Alexa mit dem Wort ‚Computer‘ aktivieren: https://t3n.de/news/amazon-alexa-sprachbefehle-echo-796631/ 🙂
Zu 1: Richtig, daran hatte ich auch gedacht. Aber da ich schon Zugriff hatte und den Film auch tatsächlich sehen wollte … what the heck, jetzt schaue ich mir das Teil eben an und lerne für die Zukunft meine Griffel besser im Griff zu haben.
Zu 2.: Richtig. Ist möglich. Aber nur für das Echo, derzeit nicht für die Tablets.
Ach… dass das nur mit dem Echo geht, war mir nicht bewusst. Wieder ein bisschen schlauer.
@Harzzach: Wärst Du so freundlich, meine Mailadresse oben rauszuschmeißen bzw. den Kommentar und meintewegen auch diesen Kommentar zu löschen? Irgendwie ist da was beim Ausfüllen des hochkomplexen Kommentar-Formulars schiefgegangen. 😀
Mail wech, Name ersetzt. Ok so?
Ein Traum!
Herzlichen Dank!
Ich schau jetzt doch mal Valerian nach dem ich nur schlechtes gehört habe, wehe der is nix… 😀
und jetzt richtest du mal einen pi-hole.net in Deinem LAN ein und wirst das kotzen bekommen, mit welcher Frequenz Amazon Dein Nutzer-, Klick-, Touchverhalten überträgt.
Jepp, das sind neugierige Purchen!