Dungeon Lords – Das „Arme Ritter“ des RPG-Genres

Hazz, Du alter Sack, was zockste denn grade?

Och, ich bin da zufällig wieder über Dungeon Lords gestolpert. Irgendwie …

Bitte was? Dungeon Lords? Dieses Dungeon Lords hier? Mit seinem 45er-Schnitt auf Metacritic? Mit all den Bugs und dem Rest der amateurhaften Umsetzung?

Jupp!

Sach ma, geht’s noch? Fünfdrölfzig Millionen gute Titel auffe Halde und kaufst sowas extra noch dazu?

Nuja, es war im Sale und …

Ich fass es nicht, der Kerl spielt Dungeon Lords und schämt sich dessen nicht einmal.

Nein, warum auch? Das ist ja nicht die greusliche, vollkommen verbuggte und unfertige Release-Version, sondern das um Tonnen von Fehlern bereinigte und inhaltlich verbesserte Re-Release „Dungeon Lords MMXII“, bzw. die Dungeon Lords Steam Edition.

Ja, aber … das ist doch kein gutes Spiel, herrgottsackra!!

Stimmt, ist es nicht. Das ist kein gutes Spiel. Aber es macht Laune. Dungeon Lords ist wie Gothic 4 – Arcania. Unterhaltsamer Trash! Denn trotz aller offenkundigen Mängel in Sachen Optik, Animationen und Sound, so ist es auf eine unfreiwillig sehr charmante Art und Weise herrlich altertümlich.

Und wie man altbackenes Brot mit ein paar Eiern, Milch, Zucker und einer Prise Salz zu herrlich schmeckenden „Armen Rittern“ machen kann, so kann Dungeon Lords mit ein wenig Distanz und einer großen Portion Entspanntheit seine schmackhafte Wirkung entfalten.

Das Spiel beginnt mit einem nicht ganz so kleinen Filmchen, wo dem Spieler minutenlang irgendwelche Namen, Orte und Ereignisse um die Ohren gehauen werden, die den Spieler einen feuchten Kehrricht interessieren, die aber den Storyrahmen bilden. Wenig hilfreich ist hierbei der Umstand, dass die bedauernswerte Sprecherin mit jedem Satz immer schneller spricht, um diesen Informationswust in Einklang mit den wenigen Standbildern des Intros zu bringen. Man merkt deutlich, wie froh sie zum Schluss ist, nichts mehr sagen zu müssen.

Achja, kleiner Gag am Rande, das Intro wird auch abgespielt, wenn man im Hauptmenü auf „Tutorial“ klickt. Da ist aber kein Tutorial, nur das Intro.

Das eigentliche Spiel beginnt mitten im Wald. Man steht dort herum und ein NPC labert einen sofort zu, dass man doch bitte nach X gehen müsse, weil Blablabla. Warum man dort steht, was man dort eigentlich gesucht hat … keine Ahnung, ich habe während des Intros auf Durchzug geschaltet. Der Bote sieht also irgendeine wildfremde Person und drückt ihr die Aufgabe auf, das Königreich zu retten, nur damit er um Fünf wieder zu Hause bei Frau und Kindern sein kann. Guter Mann. Kann Prioritäten setzen!

Ja, so waren die Spiele früher. Background gab es maximal im Handbuch, ansonsten waren diese Titel das Äquivalent einer typischen Dungeons & Dragons-Runde. Hier Dein Char, dort der Eingang zum Dungeon, los geht’s, werdet satt und dick … sry, falsches Franchise.

Und so laufe ich drei Meter durch einen häßlichen Wald, begegne dem ersten Gegner, hacke in Echtzeit wild auf ihn ein und sammle den üblichen Loot auf. Da neben den meisten Buttons des UIs das Tastaturkürzel sichtbar ist und der Rest etablierten Genrestandards folgt, braucht es eigentlich kein Tutorial. Das dachten sich die Entwickler bestimmt auch und haben kein Tutorial eingebaut. Warum es dann im Hauptmenü einen Button namens „Tutorial“ gibt, der lediglich das Intro nochmals abspielt, wird uns wohl auf immer verborgen bleiben.

Nach weiteren drei Metern stoße ich bereits auf das Stadttor, wo man mich wegen Blablabla nicht reinlässt. Ein überhaupt nicht verdächtig aussehender Goblin spricht mich an und führt mich zu einen ganz und gar NICHT versteckten Nebeneingang DIREKT NEBEN dem Stadttor. Für mehr Architektur hat es hier nicht gereicht. Immerhin hat man einen kleinen Busch vor den Nebeneingang platziert.

Nach dem zwangsläufig folgenden Kampf gegen eine Gruppe nicht minder verdächtig wirkender Goblins darf ich dann den Nebeneingang durchschreiten, der mich, oh welch Überraschung, in die Abwasserkanäle unter der Stadt führt.

Dort plündere ich Kisten und Fässer, töte Glibbermonster und noch mehr Goblins, lege Schalter um, finde Schlüssel, verirre mich trotz Automap etwas und bin froh, dass ich keine Punkte auf die „Truhen öffnen“-Eigenschaft vergeudet habe, weil die Truhen-Öffnungs- bzw. Fallen-Entschärfungsmechanik auch in der Neufassung ein selten dummer Scheiss ist, den man besser ignorieren sollte. Denn man kann Truhen auch aufschlagen, was sogar eine Fähigkeit ist, die sich mit der Zeit und häufiger Anwendung verbessert. Yay!

Ich stakse hölzern durch den Untergrund, kloppe, töte, loote, repariere oder werfe weg, steige ein paar Stufen auf und stehe dann in der nicht minder häßlichen Stadt.

Das macht Laune! Ernsthaft. Garantiert frei von Sarkas- und Zynismen. Das macht richtig Spaß! Weil Dungeon Lords so herrlich unmodern und altbacken ist, voller abgedroschener Klischees steckt und die grundlegende Gameplay-Mechanik gut genug funktioniert, um nicht zu stören.

Hilfreich ist das vollständige Ignorieren von Quest-Strukturen, Quest-Inhalten und der Story. Lauf einfach los, der Nase nach, kloppe jeden um, der Dich angreift, loote, steige auf, habe Spaß. Nein, Dungeon Lords ist natürlich kein OpenWorld-Spiel, aber man kann so tun, als ob. Dungeon Lords ist eine Spielwiese, ein Studienobjekt für angehende Gamedesigner, weil man hier schön sehen kann, wie aus einem Haufen greulicher Trümmer Spielspaß entstehen kann.

Das ganze ist umso lustiger, wenn man berücksichtigt, dass die Entwickler das alles bierernst gemeint haben. Denn Dungeon Lords stammt von Heuristic Park, dem Studio von David W. Bradley. Wer soll das sein, fragt ihr bestimmt, muss man den kennen?

Bradley war der leitende Kopf hinter der zweiten Hälfte der Wizardry-Serie, die Damals™, also Ende der 1980er und in den frühen 1990ern das war, was heute The Elder Scrolls oder The Witcher ist. Für damalige Verhältnisse überaus heftige Bestseller und Genre-Meilensteine. Auch ist Bradley mitverantwortlich für Cybermage, einen leider zu Unrecht vergessenen Shooter, der bereits 1995 einige wegweisende Features wie z.B. Fahrzeuge und kleine RPG-Elemente zu bieten hatte.

Mit Dungeon Lords hatte sich das Team aber komplett verhoben. Die Technik bekam man nie richtig in den Griff, geplante Features konnten nur fehlerhaft oder gar nicht umgesetzt werden, so dass das Spiel verbuggt und unfertig 2005 in die Läden geknallt wurde. Und was in dieser Release-Katastrophe vorhanden war und funktionierte, erschien nicht nur mir vor knapp 15 Jahren als dreiste Unverschämtheit. Dungeon Lords war derart ABGESTANDEN und VERALTET, dass man als RPG-Fan nur fremdschämend im Boden versinken konnte. 2005 war man Fable gewohnt, Knights of the Old Republic, World of Warcraft, Dungeon Siege 2, Guild Wars usw. usf.

Ja, Dungeon Lords war miserabel. Die Release-Version fast unspielbar. Und dennoch …

Ein Bekannter meinte nur, dass er recht viel Spaß damit hatte. Ja, das Spiel ist grauenvoll, aber er hat sich gerade willenlos durch die Bewohner eines Klosters gemeuchelt, haufenweise Gold und wertvolle Ausrüstung gelootet und vom Ordensobermufti danach trotzdem die tolle Questbelohnung bekommen, weil die Handlungen des Spielers nicht getrackt werden.

Nein, er war kein „seriöser, richtiger“ RPG-Fan. *ho humm* *durchdenbartstreich* Wenn man böse wäre, hätte man ihn als Filthy Casual bezeichnen können, dem es wurstegal war, wie abgestanden und veraltet der Titel daherkam, und deswegen prädestiniert war Spielspaß dort zu entdecken, wo ihn niemand vermutet hatte.

Damals war ich noch der festen Überzeugung meine Zeit nicht an schlechte Spiele zu vergeuden. Vor allem unter dem Aspekt, dass ich in den Jahren zuvor nur so mit guten RPGs verwöhnt wurde. Baldurs Gate, Icewind Dale, Planescape Torment, Divine Divinity. Meine Ansprüche waren hoch und Machwerke wie Dungeon Lords waren mit Fug und Recht nur ein hochnäsiges Naserümpfen wert.

Knapp 15 Jahre später merke ich aber, wie sehr sich meine Einstellung geändert hat. Dungeon Lords ist in der bereinigten und aufgemotzten neuen Version immer noch kein gutes Spiel, aber ich kann meinen Spaß damit haben, ohne dabei die Realität zu verbiegen und offenkundige Fehler verleugnen zu müssen. Ich kann nun als Sau die Perle finden und als Perle anerkennen, ohne die Natur des restlichen Frasses, in dem ich die Perle gefunden habe, schönzureden. Oder gar so zu tun, als ob da überhaupt keine Perle sei, weil sie nämlich im Dreck liegt und die Schweine darauf herumrutschen.

Würde ich Dungeon Lords empfehlen wollen? Nein, nicht wirklich. Es gibt so viele gute Rollenspiele in jeder nur denkbaren Machart, niemand muss sich damit beschäftigen.

Dennoch … man kann altes Brot zwar wegwerfen, aber man muss nicht! Man kann immer noch „Arme Ritter“ daraus machen.

21 Kommentare zu „Dungeon Lords – Das „Arme Ritter“ des RPG-Genres

  1. Hm. Mit dieser Beschreibung hast du mir gerade Bock auf Sacred gemacht. Gut dass ich das bei Gog noch installiert habe.
    „Schlagt ihm den Kopf ab, ich brauch‘ nen neuen Aschenbecher!“

  2. Super, Herr Hazz! Ziehe mir gerade Cybermage von Abandonia.
    Ma‘ echt: Das war so herrlich quer zu allem, was es damals im 3D-Genre gab, mit seiner wilden Mischung aus 3D-Action und Cybermagie-Rollenspiel. Das Handinterface, die für Damals ziemlich gute CD-Sprachausgabe und den „Woah, geil!“ CD-exklusiven Introfilm. Man muss dabei gewesen sein…

  3. P.S.: Wenn ich so überlege, was mein „Armer Ritter“ der war –> Bei den 3D-Shootern auf alle Fälle „Pariah“…

  4. Ohh, auch ein ‚Jünger‘ (…hätte doch vorher im Archiv gucken sollen)!

    Dieser Shooter war die perfekte Entsprechung zu „Freizeitkleidung“:
    reinschlüpfen, sitzt immer perfekt und kneift nicht, superbequem… ;-D

  5. Eigentlich war ich diese Tage auf Dungeon Siege 2 + Addon aus… aber jetzt will ich es selbst wissen mit Dungeon Lords 🙂
    Grafikstil erinnert mich an KQ8 & Ultima IV, was ich auch mal beizeiten durchspielen müsste… Dungeon Lords ist also wirklich Stand anno ’99

    Danke für den Tip! ( <– passend die alte RS dazu)

  6. Jetzt mal die ersten 5 Minuten angespielt…

    Das Spiel ist derart TRASHIG… wow…maximal eigentlich eine frühe Beta…an allen Ecken und Kanten unfertig (überhaupt keine Lippenbewegung!) bzw. nicht konsistent (mal wird jedes Wort groß geschrieben, mal nicht), in anderen Aspekten dagegen überraschend professionell (Sprachausgabe, schön große Schrift, e sammelt alles auf) oder überraschend („Wahnsinn Heiltrank gefunden“) und unfreiwillig komisch. HERRLICH!

  7. Aber man muss schon ein gewisses Mindset mitbringen. Entspannte Muße kann helfen.

  8. Es ist kein gutes Spiel, aber es macht Laune…
    What?
    LOL
    Das ist philosophisch der falsche Ansatz: Was unterhält, taugt.
    Wer unterhält, dem verzeiht man vieles.
    Würde ja glatt zuschlagen, aber mein Games Stapel ist einfach zu groß.

  9. Ich kann z.B. bei der Grafik fast beliebige Zugeständnisse machen; aber alles was mir die Immersion verhagelt (der „geheime“ Eingang : D ), killt Spiele für mich.

    Absolut bewundersnwert, wenn man son ein Zen-Level erreicht, dass man nur die Perle sieht. ^^

  10. P.S.: Wobei ich nur die Grafik-„Qualität“ meine. Stimmig sollte sie schon sein. Ich kann mich z.B. mit dem neuen Fantasy-General nicht anfreunden, weil ich die Vermischung der ganzen Maßstäbe auf der Karte ganz und gar furchtbar finde –> Immersionskill.
    Da wäre es mir lieber, die Einheiten würden durch Symbole dargestellt.

    First-World-Gamer-Problems. ^^“

  11. In other news: Arme Ritter!…da war doch was…Kindheitsflashback!
    Gleich heute den Kids gemacht, arme Ritter sofort ins
    Repertoire aufgenommen. Zeitloser shit halt.

  12. Immersion…
    verdammt, ich krame bei dem Thema immer wieder gern Gothic 1 hervor.
    Gleich zum Spielstart eine auf die Mütze bekommen, und dann der gemäßigte Diego…

    Das hat damals den Maßstab gesetzt, der von nur sehr wenigen Spielen eingefangen werden konnte.

  13. Heißer Scheiss das Spiel! 😀
    Habe es gerade erworben und werde heute Mittag mal kurz reinschauen. Ich kenne es aber auch noch von damals, kann mich aber nicht mehr an allzuviel erinnern oder wie weit ich kam. Nun denn, die Erinnerung wird später top unterhaltend aufgefrischt werden! ^^

  14. @Crix:

    Es ist handwerklich kein gutes Spiel und ausserhalb eines recht eng gefassten, ganz speziellen Mindsets ist Dungeon Lords zum Davonlaufen. Ich weiß z.B., dass ich bald die Nase voll davon haben werde. JETZT basst es, aber das JETZT kann morgen schon vorbei sein.

  15. Ui, toller Anstoß 🙂 Vielleicht kann ich es jetzt spielen und mir vorstellen es sei ein 90er Jahre Titel und schwupps funktioniert es für mich. Meine Güte war ich damals enttäuscht – aber grad ist mir sehr nach belanglosen Dungeon Crawls und Dungeon Lords ist sicher besser als die ganze Mobile Shareware (bzw. „App mit in-App-Käufen“ sagt man ja jetzt). Ich bin mir sogar sicher es in meiner Steam Bib zu haben, da ich es vor Jahren mal für ne Müde Mark erstanden habe und es immer mal mit nem Freund spielen wollte.

    Herrje, ich hatte ja auch Jahre später erst Spaß mit Crusaders of Might & Magic und King’s Quest 8. Ja, tatsächlich Spaß.

    Vermutlich wird man es allerdings nie bis zum Ende spielen. Falls du unerwartet schnell durch sein solltest: kann man auch im späteren Spiel die Truhen mit deiner Methode öffnen? Werden Fallen fieser?

  16. Hallo 😉
    Was für ein toller Blog !!!
    Das Spiel klingt gut, ich mag trashige Games…da schau ich gerne mal rein;))
    Lg aus Stuttgart
    Isa

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